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Deutscher Straßen- und Verkehrskongress 2024:

Radverkehr präsent, aber mit Luft nach oben

Der Deutsche Straßen- und Verkehrskongress (DSVK) geht heute in Bonn zu Ende. Bereits in den letzten zwei Tagen fanden im World Conference Center zahlreiche Vorträge statt, außerdem lud eine große Ausstellung zum Vernetzen ein. Das Thema Radverkehr war nur am Rande präsent.

Für die Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) gab es in dieser Woche mehrere Gründe zu feiern. Zum einen ist der Verein Anfang der Woche 100 Jahre alt geworden. Zum anderen wurde der Straßen- und Verkehrskongress, der heute im World Conference Center Bonn zu Ende geht, mit vollen Sitzreihen im Plenarsaal und dem Saal Nairobi und insgesamt regem Treiben in seiner Relevanz bestätigt.

Gesellschaftliche Veränderungen

In den letzten 100 Jahren, so die Vorsitzende Dir’in Dipl.-Ing. Elfriede Sauerwein-Braksiek zum Start des Kongresses, habe der Verein sich immer neuen Herausforderungen gestellt und sei in der Lage gewesen, sich nicht nur an technische und gesellschaftliche Veränderungen anzupassen, sondern auch die Zukunft zu gestalten. Sauerwein-Braksiek übergab dann nach acht Jahren an der Spitze der FGSV den Staffelstab an ihren Nachfolger Dr.-Ing. Stefan Klotz, den die Mitglieder am Morgen des ersten Kongresstages ins Amt gewählt hatten. Klotz verwies auf die vielen Entwicklungen, die sich in den letzten 100 Jahren im Straßen- und Verkehrswesen abgespielt haben. Zur Gründungszeit der FGSV steckte der Motorisierte Individualverkehr schließlich noch in seinen Kinderschuhen. Als große Herausforderungen identifizierte Klotz autonome Fahrzeuge, digital vernetzte Infrastrukturen und die Mobilitätswende.
Auch für Staatssektretärin Susanne Henckel, die vom Verkehrs- und Digitalminister Dr. Volker Wissing zum DSVK entsandt worden war, ist die aktuelle Zeit von Wandel geprägt. Die Urbanisierung, der Klimawandel und die Digitalisierung zeigen sich auch in den Veröffentlichungen der FGSV. Die jüngst in Dresden eingestürzte Carolabrücke habe noch einmal gezeigt, dass die Menschen sich auf die Infrastruktur verlassen müssen. Neben den für sie unverzichtbaren Straßen brauche die Mobilität der Zukunft auch eine starke Eisenbahn und Wasserwege.

Radverkehr – zweite Geige mit System?

Thematisch waren in insgesamt zehn Vortragsblöcken beispielsweise der Betonstraßenbau, Digitalisierung und die Erhaltung der Infrastruktur an der Tagesordnung. Auch das Jubiläum wurde zum Anlass für einen Blick auf zentrale Themen, ein Jubiläumsforum und eine Sonderausstellung genommen.
Teil des Programms war ein Vortragsblock, der zunächst zu attraktivem ÖPNV geplant worden war und dann um das Thema Radverkehr erweitert wurde. Diese Herangehensweise an das Thema Radverkehr zeigt, welche Bedeutung die FGSV diesem zuweist. Das könnte System haben, wie unter anderem die Kritik in einem Discussion Paper von Henning Horst von der Technischen Universität aus dem Jahr 2022 nahelegt. Dort heißt es, dass innerhalb der FGSV „traditionell ein autozentrierter Planungsansatz verfolgt wird und intransparente Strukturen auch heute noch eine Mitarbeit der Zivilgesellschaft an allgemeinen Regelwerken verhindern.“ Die wichtigen Regelwerke enthalten heute zwar einige progressive Ansätze, heißt es weiter, diese fänden sich jedoch selten in den konkreten Umsetzungsvorschlägen.

Konkret ging es in den Vorträgen dann darum, ÖPNV und Rad zusammenzudenken, insbesondere bei den Neufassungen der Regelwerke ERA und EAÖ. Ein zweiter Vortrag behandelte die zügige und sichere Führung des Radverkehrs an Knotenpunkten. Laut den Referierenden erfordere die Flächenknappheit in Städten Kompromisse. Inzwischen sei klar, dass die Miniaturisierung von Infrastruktur keine Lösung sein könne. Wenn der Straßenquerschnitt sich nicht umgestalten lässt, müsse Mischverkehr mit reduzierten Geschwindigkeiten einhergehen.
Der DSVK wurde natürlich auch dazu genutzt, Impulse für die Regelwerke und Richtlinien der FGSV zu sammeln. In der ERA, der RASt und anderen könne es sinnvoll sein, sich nicht weiter auf einzelne Verkehrsarten zu fixieren, sondern stattdessen konkrete Handlungsorte, etwa Haltestellen, in den Vordergrund zu stellen und diese interdisziplinär zu betrachten. Bei der RiLSA gibt es zudem Überarbeitungsbedarf, was die gemeinsame Führung verschiedener Verkehrsmittel und linksabbiegenden Radverkehr angeht.
In anderen Vorträgen, etwa aus dem Themenblock der nachhaltigen Verkehrsplanung, tauchte der Radverkehr zumindest am Rande immer wieder auf. Besonders wichtig ist in diesem Bereich weiterhin das Regelwerk E Klima. Sinnvoll könne auch ein Paradigmenwechsel sein, der anstelle der Verkehrsqualität die Erreichbarkeit in den Planungsprozessen nach vorne stellt. In der Metropolregion München zum Beispiel steht dafür ein Erreichbarkeitsatlas zur Verfügung, der bei der Netzplanung und Stadtentwicklung hilft. Für die Städte selbst und ihre Beziehung zum Umland dürfte das richtige Parkraum-Management eine Schlüsselrolle spielen. Die Standortentwicklung hat einen potenziell riesigen Einfluss darauf, die Klimaziele zu erreichen.

Kristina zur Mühlen zieht Publikum an

Besonders gut besucht war der Festvortrag der Wissenschaftsjournalistin und Physikerin Kristina zur Mühlen. Zur Mühlen unternahm eine virtuelle Weltreise mit dem Publikum und begann bei der Rücksichtslosigkeit im deutschen Verkehr. 93 Prozent, so die Referentin, beobachten zu enge Überholvorgänge von Autos gegenüber Radfahrern und Radfahrerinnen. Gleichzeitig sagen 96 Prozent, dass sie selbst besonders viel Rücksicht bei ebendiesen Manövern nehmen. Es gelte, die Selbsteinschätzung zu überprüfen. Die Reise ging weiter über vorbildliche Fahrradinfrastruktur in Amsterdam oder Kopenhagen bis hin zu Seoul in Südkorea, wo innerhalb von nur zwei Jahren eine Stadtautobahn zurückgebaut wurde und dem Fluss Platz machte, der sich bereits vor dem Autobahnbau durch die Landschaft schlängelte. Als Lösung stellte die Journalistin klar den Radverkehr heraus. Auch autonom fahrende Autos können das Verkehrssystem nur bedingt verbessern. Die ETH Zürich empfehle sogar, diese gar nicht als Privatfahrzeuge zuzulassen, auch weil sie als noch bequemere Art der Fortbewegung Rebound-Effekte verursachen dürften. Städte sollten ihr Augenmerk hingegen auf eine ausreichende Bepflanzung legen. „Grün ist das neue Grau und Pflanzen sind keine Deko“, so zur Mühlens Resümee.

Neben dem Vortragsprogramm bot der DSVK reichlich Gelegenheit, sich in einer großen Ausstellung mit Akteuren aus Wissenschaft, Verwaltung und der Wirtschaft zu vernetzen.

25. Oktober 2024 von Sebastian Gengenbach
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