Portrait - BySchulz
Schneller höher!
Die Entwicklung war unter anderem eine Begleiterscheinung des Mountainbikes, eine langsame, aber stetige Evolution in der Fahrradbranche: Ab den 80er-Jahren übernahm ganz allmählich der Ahead-Vorbau das Regiment am Steuerkopf. Der Vorbau wurde jetzt direkt an den Gabelschaft geklemmt und sorgte für eine steife Verbindung sowie die passende Einstellung des Steuerlagers. Vorteile: geringeres Gewicht, höhere Stabilität. Nachteil: Die Funktion als Garant der Steuersatz-Einstellung machte den Ahead-Vorbau unflexibel, denn eine einfache Höhenverstellbarkeit wie beim Gewindesteuersatz war nicht mehr zu haben. Denn bei letzterem wird die obere Lagerschale einfach über ein Gabelschaft-Gewinde an den Steuerkopf gepresst, eine zweite Mutter kontert, fertig. War die Verstellbarkeit für den MTBler relativ uninteressant, sah das für viele Freizeit-Tourer mit dem trendigen Trekkingbike, das das Aheadset allmählich übernahm, anders aus. Für viele war die Sitzposition zu sportlich und zu fixiert.
Markus Schulz, gelernter Zweiradmechaniker und Gründer von BySchulz, hatte seit Anfang der Neunzigerjahre ein Fachgeschäft in Saarbrücken und registrierte die Kundenwünsche nach mehr Komfort. Zwar gab es einige zaghafte Versuche auf dem Markt, dem Ahead-Vorbau Verstellbarkeit beizubringen, doch ging das meist auf Kosten von Stabilität – von Nutzerfreundlichkeit gar nicht zu reden.
Schulz löste schließlich das Problem mit einem separaten inneren Schaft, der in den Gabelschaft abtaucht. Eine klassische, per Schlitz verdreh-gesicherte Außenklemmung am eigentlichen Gabelschaft sorgt dafür, dass der Steuersatz seine Einstellung behält. Der Schnellspanner darüber klemmte nur den inneren Schaft, auf dem der Lenker sitzt, auf der gewünschten Höhe fest. Damit sich dieser Schaft nicht verdreht, wurde das System mit Nut und Feder gesichert, das Vorderrad bleibt auch bei Öffnung des Schnellspanners immer ausgerichtet. »Unser Ziel war erst einmal eine Problemlösung«, sagt Markus Schulz heute, »von einer Fertigung träumten wir zunächst nicht einmal.«
Viel Platz am neuen Standort
Wir treffen ihn 23 Jahre später in seinen neuen Räumen am Rand von Saarbrücken. Sie stammen aus den Siebzigern, eine ehemalige Spedition. Im komplett offenen, 300 Quadratmeter großen Raum, den BySchulz Januar 2019 bezog, ist Entwicklungsbüro, Besprechungsraum und Empfang.
Mit viel Platz für jeden einzelnen und natürlichem Licht durch die großen Dachfenster sitzen hier Designer, Entwickler und Produktmanager, am anderen Ende des Raums der Grafiker. Dazu gibt es ein Sofa und einen kleinen Besprechungstisch; alles auf den klassischen gepunkteten Steinfliesen, wie man sie aus Geschäftsräumen dieser Zeit kennt. Hinter den Arbeitsplätzen eine lange Stellwand voller Sattelstützen und Vorbauten. Ein die ganze Breite der Stellwand einnehmender Apothekerschrank mit 112 genau gekennzeichneten Schubfächern steht davor. Schulz, ein Mann mit freundlichem Gesicht und einer dünnen Brille ist ein Detail-Fanatiker, das kommt schon hier etwas zum Ausdruck.
Leise summt der 3D-Drucker neben dem Eingang. Fleißig legt er Schicht um Schicht auf zwei neue Vorbau-Prototypen.
Klar: Der Speedlifter – so der Name der ersten Entwicklung von Schulz und seinem damaligen Kompagnon Wolfgang Weber – sollte nicht die einzige Komponente aus dem Hause BySchulz bleiben. Heute ist die an den Geschäftsbereich angrenzende Lager- und Versandhalle mit gut 500 Quadratmetern voll mit Paketen und Päckchen, die nicht nur Speedlifter und andere Vorbauten enthalten, sondern auch Federsattelstützen und andere verschiedene kleine Dinge, die das Leben des Radlers einfacher und schöner machen. Doch »der Weg zum Speedlifter war nicht einfach«, sagt der Vorbau-Revolutionär selbst mit einem Lächeln über die Zeit der Entwicklung. »Da war der Kühlschrank nicht immer voll.« Aber das eigene Fahrradgeschäft in der City – wo früher auch BySchulz beherbergt war – lief ordentlich. »Was hereinkam, wurde in den Speedlifter gesteckt.« Eigentlich hatte man mit Centurion Renner auch schon einen Hersteller, der das fertige Produkt übernehmen sollte. Doch die erste Serie machte klar: Dieser Speedlifter erfüllte die Anforderungen, die der Macher selbst in ihn setzte, nicht. Das lag vor allem am Material: Centurion setzte den Speedlifter zum Teil aus Kunststoff um – und das erwies sich als zu wenig stabil. Für Schulz hieß das: Zurück auf Anfang und die Entwicklung selbst realisieren.
Das E-Bike als Anschubhilfe
Der Speedlifter – aus hochwertigem Aluminium – konnte schnell überzeugen. 1997 kam der Speedlifter auf den Markt und Händler und Industrie erkannten schnell die Qualität dieser echten Innovation. »Damals haben wir schon die Schnellspannhebel in Asien gekauft«, erinnert sich der 55-Jährige. »Die gab es hier gar nicht in hoher Qualität.« Drei Jahre später wurde die komplette Produktion von Deutschland nach Taiwan verlegt. »Der große Durchbruch war letztendlich da, als Flyer unser Produkt für sein Portfolio einsetzte.« Sicher nicht der schlechteste E-Fahrradhersteller, um Vertrauen für ein neues Komfort-Produkt beim Endverbraucher zu wecken.
Und das Vertrauen scheint gerechtfertigt: Nach Angaben des CEO gab es seit Bestehen des Unternehmens noch keine Rückrufaktion. Dafür wird einiges getan: Seriennahe Prototypen der Produkte werden bei Ernst Brust oder EFBe geprüft. Und zwar meist mit deutlich höheren Anforderungen, als die DIN-Normen vorschreiben. Das schafft Sicherheit. Und die Hersteller, die BySchulz als OEM-Partner verbauen, testen direkt in Asien – denn dort werden die Produkte hergestellt. »Das war eigentlich keine finanzielle Entscheidung«, sagt Schulz heute. »Die meisten unserer OEM-Kunden lassen in Asien beziehungsweise direkt in Taiwan produzieren. Das heißt, dass auch dort assembliert wird.« Eine Verschickung von Deutschland nach Taiwan wäre also weder günstig noch nachhaltig – auch dieser Gesichtspunkt ist für Schulz wichtig. Außerdem greift Schulz für einige Produkte auf 3D-Schmiedetechnik zurück. »Und das kann man in Deutschland praktisch nicht machen lassen«, sagt Schulz, der sich auch einige Zeit zum Maschinenschlosser ausbilden hatte lassen. Was das fertige Produkt betrifft, ist für ihn auch wichtig, dass es einfach zu bedienen und zu warten ist. Zum Beweis lässt er uns die Feder einer Sattelstütze tauschen: Das klappt tatsächlich so einfach und exakt wie bei einem Lego-Baukasten. Der komplette Service wird übrigens auch im Hause BySchulz gemacht. Händler oder auch mal Endkunden schicken defekte oder zu wartende Teile ein, und der 24-Stunden-Service waltet seines Amtes – da steht auch schon mal der Chef selbst an der Werkbank und setzt ein neues Lager in die Federstütze ein.
Elektromarkt als wichtigster Kunde
2006 reichte man einen weiteren Funktionsvorbau nach. Der Vorbau namens Twist hätte wahrscheinlich ein Jahrzehnt vorher niemanden interessiert: Der Lenker lässt sich in Sekunden zum Abstellen auf kleinem Raum in Fahrtrichtung drehen. In Zeiten der aufkommenden neuen Mobilität und der Zunahme von Kompakt- und Falträdern wieder ein Problemlöser. Wichtig auch hier: »Es muss möglichst einfach funktionieren«, so Schulz. Prompt schiebt man am Twist auch nur einen kleinen Riegel auf und schon klappt der Lenker zur Seite. Beim Zurückdrehen schnappt er automatisch in der Fahrposition ein – fertig. Die Vorteile dieses Systems wissen nicht nur Endverbraucher zu schätzen: Der beste Kunde ist derzeit ein großer Elektronikmarkt. Er bestückt die über ihn erhältlichen E-Bikes mit dem Twist – und spart so enorm Volumen beim Verpacken, ohne dass die Kunden beim Aufbau frickeln müssten.
Weitere Vorbauten mit Komfortfunktionen wie Höhenverstellung, seitliches Verdrehen oder – beim Twist Pro – Winkelverstellbarkeit sind heute im breiten Programm von BySchulz. Heute gibt es über 100 Variationen des verstellbaren Vorbaus. Ein besonderes Feature der Vorbauten: Das SDS, also Stem Docking System. Das ist die eine Frontkappe der Klemmung, an der über einen Adapter, genannt SDS-Link, schnell und einfach Frontstrahler, Fahrradcomputer-Halter oder Kameras montiert werden können. Je nach verwendetem Adapter auch mehrere Geräte gleichzeitig. Gerade für Freunde des Minimalismus eine einfache Lösung, seine Komponenten stabil und schnell ans (Sport-)Rad zu bekommen. Gravelfreunden und Langstrecken-Pendlern dürfte das besonders gefallen.
Vollsortimenter in Sachen Ergo und Komfort
»Der Kunde kann von uns alles aus einer Hand bekommen«, sagt Schulz selbstbewusst. Deshalb gibt es seit einiger Zeit passend zu den Vorbauten auch den Lenker für MTBs oder Trekkingbikes aus Saarbrücken. An die Entwicklung einer Parallelogramm-Federsattelstütze hat man sich schon 2013 gemacht. Damals war dieses Federsystem keine Neuheit mehr, doch auch hier war in puncto Qualität und Ansprechverhalten »noch Platz nach oben«, und den wollte man bald mit der G1 – mittlerweile G2 – einnehmen. Sie gibt es mit fünf verschiedenen Federhärten für unterschiedlich schwere Fahrer und zwei verschiedenen Federwegen, 30 und 50 Millimeter. Seit 2019 gibt es das Modell auch als D2 Dropper, absenkbar: Beim Stopp an der Ampel lässt man über einen Lenkerhebel die Sattelstütze so weit hinunter, dass man sicher mit beiden Füßen auf der Straße steht. Beim Losfahren drückt man den Hebel wieder und schiebt so die Stütze auf die vorher definierte Höhe zurück – vor allem für ältere Herrschaften und Bike-Wiederaufsteiger ein Sicherheits-Feature.
An Ideen mangelte es Schulz noch nie: Als in E-Bike-Displays noch keine Uhren integriert waren, brachte man mit der AH-Clock eine Ahead-Topkappe mit minimalistischem Zeitmesser. Oder der kleine Ventiladapter für den Schlüsselbund: Mit ihm kann man Sclaverand-Ventile am Tankstellen-Kompressor bepumpen und den Ventileinsatz eindrehen.
Mehr Menschen – mehr Ideen
So viel Kreativität mit Detailverliebtheit – da steckt mehr als nur ein Hirn dahinter. So ist Markus Schulz auch wichtig, dass die Entwicklungen immer auch Teamwork sind. Da ist etwa Entwicklungsleiter und Chef-Designer Gerd Brücker, der 2013 zu Schulz kam und damals die neue Parallelogrammstütze verantwortete. »Was soll das neue Produkt alles können?« fragt Brücker als erstes. »Und dann geht’s ganz einfach nach dem Grundsatz ›form follows function‹«, meint der gelernte Industriedesigner lakonisch weiter. Zunächst geht’s ganz klassisch mit Zeichnungen auf Papier los. Ernst wird’s, wenn man diese im CAD-Programm weiter ausführt. Über ihn läuft während der Entwicklungsphase auch viel Kommunikation mit Taiwan. »Schließlich muss die Produktion von Anfang an die Entwicklung begleiten, denn dort stellt man fest, was letztendlich technisch machbar ist und was nicht.« Und nach einer kurzen Pause ergänzt er mit einem Schalk in den Augen: »Ja, manchmal ist schon mehr machbar, als zuerst gesagt wird. Man muss halt ein bisschen insistieren.« In der CAD-Phase gibt’s auch jede Art von Unterstützung von Georg Kotschnew, dem Produktmanager bei BySchulz, einen Arbeitsplatz weiter.
Verzicht auf Kunststoff Verpackungen
Selbst das Marketing und die grafischen Arbeiten werden inhouse erledigt. So ist Grafiker Stefan Kalweit, seit zwei Jahren im Unternehmen, »gestalterisches Mädchen für alles«, von der gerade neu zu bauenden Website bis hin zu – ganz wichtiger Punkt – den Verpackungen der BySchulz-Produkte. Auch hier setzt man auf Nachhaltigkeit: »Kunststoff kommt nicht in den Karton«, so die Devise. Der »Schachtelmacher« sitzt übrigens gerade mal 20 Kilometer entfernt. Alle Produkte für den Versand von Deutschland aus werden in Saarbrücken verpackt. Einerseits spart man so durch das geringere Volumen unverpackter Ware Frachtkosten ein, außerdem werden Produkte wie gefederte Sattelstützen für den Aftermarket und einige europäische OEMs erst inhouse konfiguriert. Das passiert in der besagten Halle. Hier sitzen drei, in der Saison auch mehr Mitarbeiter an Tischen, kontrollieren jedes einzelne Produkt einer Lieferung aus Asien auf seine Qualität hin, bestücken es gegebenenfalls entsprechend der Bestellung und verpacken es.
Ist doch schon so gut wie fertig …
Für die organisatorische Seite im Unternehmen ist auch Robert Koch zuständig: Der Einzelhandels-Kaufmann ist zehn Jahre im Unternehmen und seit 2019 auch Co-Geschäftsführer. Schulz scherzt: »Ich bin der Kreative und fein raus, weil jetzt Robert die Firma managt!« Was sicher nicht nur eine spaßige Bemerkung ist. Schließlich kümmert sich der 37-Jährige um fast alles, was interne und externe Orga des Unternehmens ausmacht. Und das ist so einiges. Auch deshalb, weil zu bisher Genanntem auch noch die Auftragsentwicklung für andere Unternehmen hinzukommt. Da kommen etwa oft Nachfragen, halbfertige Entwicklungen fertigzustellen. Doch eine Entwicklung, die als »schon zu 90 Prozent fertig« angekündigt wird, stockt oft da, wo es letztendlich Probleme gibt – und ist deshalb eben nicht zu 90 Prozent fertig, sondern oft durchaus noch am Anfang. Auch, weil man mit eigenen Dingen viel zu tun hat, muss BySchulz durchaus des Öfteren Aufträge ablehnen. Und außerdem gilt: »Wir gucken uns laufend im Markt an, was man noch verbessern kann. Problemlöser dann mit guten Leuten im Team zu erarbeiten, das macht richtig Spaß«, leuchten Schulzes Augen bei diesem Satz. »Die Ideen werden uns definitiv nicht ausgehen«, sagt er wie nebenher. Und wie zum Beweis erzählt er von einem ganz neuen Produkt in der Pipeline. Auch diese Komponenten hat wie der Twist etwas mit Platzsparen zu tun. Aber wir wollen und dürfen nicht vorgreifen.
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