Interview - Franz P. Linder
»Transformation der Städte in Lebensräume«
{b}Herr Linder, mit Ihrem Büro waren Sie an der Ausarbeitung eines 45 Kilometer langen Radschnellwegs beteiligt. Vor welchen Hindernissen stehen Sie, wenn Sie als Verkehrsplaner ein solches Projekt vorschlagen?{/b}
Viele Politiker haben Schwierigkeiten mit der Größenordnung, wenn es nicht nur um den gewohnten Ausbau geht, der sich ja in einem üblicherweise sehr bescheidenen finanziellen Rahmen abspielt, sondern um ganz neue Konzepte. Die neuen Ansätze und vor allem die geänderten Kostendimensionen muss man erst einmal verstehen. Schließlich sprechen wir hier von ca. einer Million Euro pro Kilometer Radschnellweg.
{b}Mit welchen Argumenten überzeugen Sie Skeptiker?{/b}
Es geht in unseren Argumenten gar nicht zentral um die Frage, ob ein paar Kilometer Radweg mehr oder weniger gebaut werden sollen. Sonst kommen wir sehr schnell in eine ideologische und kostengeprägte Diskussion. Wir stellen einen größeren Zusammenhang her, der unserer Erfahrung nach unabdingbar ist. Zum Beispiel: Wie bleiben oder wie werden Städte und Gemeinden künftig attraktiv? Wie hoch sind die Kosten, die eine Stadt für Mobilität aufbringen muss? Wie stellen Städte sicher, dass die zunehmende Zahl älterer Menschen so lange wie möglich autark mobil bleiben kann? Wie sieht es mit dem Aufwand für Gesundheit aus? Und schließlich: Wie könnte eine Stadt als Lebens- und Bewegungsraum aussehen? In der anschließenden Diskussion relativieren sich die Kosten für Radschnellwege.
{b}Bei vielen autoaffinen Planern und Politikern rennen Sie damit wahrscheinlich aber trotzdem noch keine offenen Türen ein, oder?{/b}
Das ist vollkommen richtig. Denn seit Jahrzehnten sind kommunale Planer und Entscheider auf den motorisierten Individualverkehr sowie den ÖPNV fokussiert. Und auch heute wird das Fahrrad vielerorts nicht als eigenständiges und selbstständiges Verkehrsmittel gesehen. Das erklärt die vielen, eigentlich vermeidbaren Probleme, mit denen Radfahrer – übrigens aber auch Fußgänger – täglich konfrontiert sind.
{b}Die Politik in Nordrhein-Westfalen hat die AGFS aber offensichtlich überzeugt, wie die Grußworte von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft zum Kongress Vivavelo zeigen.{/b}
Die AGFS arbeitet seit über 20 Jahren intensiv an neuen Ansätzen und intelligenten Alternativen für ein neues Mobilitätszeitalter und treibt den Ausbau des Radverkehrs weiter voran. Inzwischen im engen Schulterschluss mit der NRW-Landesregierung, die einen eigenen Aktionsplan zur Förderung der Nahmobilität aufgestellt hat. Man muss sich darüber im Klaren sein, dass es jahrelange kontinuierliche Arbeit erfordert, wenn man Entscheider überzeugen will. Genauso wichtig wie schlüssige überzeugende Argumente sind dabei aber auch persönliche Erlebnisse.
{b}Was waren für Sie Schlüsselerlebnisse beim Radfahren?{/b}
Erst einmal das Erlebnis, in Holland kilometerlang auf einem Radweg entspannt und ohne Stopps durch urbane Räume fahren zu können. Auch nebeneinander, was extrem kommunikativ ist. Das zweite faszinierende Schlüsselerlebnis war meine erste Fahrt auf einem Pedelec. Und das dritte Erlebnis schließt gleich an dieses Erlebnis an: Die Fahrt mit einem Pedelec in den Bergen. Diese drei Erfahrungen sollten, sicher auch zusammen mit einer Fahrt auf einem schnellen S-Pedelec, alle Planer und Entscheider machen. Dann würden viele Diskussionen und Entscheidungen heute wahrscheinlich schneller oder einfacher in die richtige Richtung gehen.
{b}Wie können persönliche Erfahrungen Ihrer Auffassung nach Meinungen verändern?{/b}
Man darf nicht vergessen, dass es sich bei Radschnellwegen um ein völlig neues Instrument handelt. Das heißt sowohl in der Planung, wie auch in der Kommunikation betreten wir Neuland. Persönliche Erlebnisse, die langfristig im Gedächtnis bleiben, sind hier sehr hilfreich. So gibt es zum Beispiel aktuell eine Diskussion, wie mit S-Pedelecs in Bezug auf Radschnellwege umgegangen werden soll. Solche Fragen kann man aber nicht nur mit technischem Sachverstand diskutieren. Die Niederlande sind zur Erweiterung des persönlichen Horizonts übrigens immer eine Reise wert. Ich fahre oft nach Holland und komme jedes Mal mit neuen Ideen zurück.
{b}Was kann die Fahrradindustrie in diesem Zusammenhang tun?{/b}
Mit einigen Unternehmen und Institutionen, wie beispielsweise Shimano Europe / Paul Lange, Ralf Bohle / Schwalbe, Busch & Müller, WSM, Ortlieb, ABUS, BIKE&CO, dem VSF und natürlich dem ZIV arbeiten wir im Auftrag der AGFS sehr gut und regelmäßig zusammen. Natürlich repräsentieren diese engagierten Unternehmen einen wichtigen, aber nur relativ kleinen Ausschnitt der Branche. Wir könnten viel mehr bewegen, wenn mehr Unterstützung aus der Industrie da wäre. Insgesamt könnte die Branche politischer, das heißt im besten Sinne als Lobby auftreten und mit einer sehr selbstbewussten Haltung mobile Zukunft mitentwickeln.
{b}Wo könnte die Fahrradbranche einen sinnvollen Beitrag leisten?{/b}
Entscheidend ist der Austausch mit den Entscheidern aus der Politik sowohl auf kommunaler Ebene, wie auch bei Ministerien in den Ländern und beim Bund. Hier hat sich in den letzten Jahren schon viel getan, aber die Fahrradbranche muss sich darüber im Klaren sein, dass diese Prozesse ebenso wenig Selbstläufer sind, wie die Zunahme der Radfahrer. Gerade bei Radschnellwegen stehen wir noch am Anfang. Die AGFS veranstaltet zum Beispiel zwei bis dreimal im Jahr ein Politikforum in Form eines kompakten Informationsabends für Politiker. Mehr Veranstaltungen mit der Gelegenheit, auch mal ein Pedelec zu testen, wären sicher wünschenswert, sind derzeit ohne Unterstützung aber nicht realisierbar.
{b}Wie geht es jetzt weiter mit dem Thema Radschnellwege?{/b}
In Bezug auf den in NRW durchgeführten Wettbewerb zu Radschnellwegen kann man damit rechnen, dass ab 2015 eine Bauplanung für die prämierten Strecken vorliegt und ab 2016 mit der Bauausführung begonnen werden kann. Voraussetzung ist allerdings, dass es bis dahin auf kommunaler Ebene nicht zu Widerständen kommt und die Finanzierung sichergestellt wird. Dieses Beispiel veranschaulicht, wie wichtig es ist, in großen Zeiträumen zu denken und nicht nur zu planen, sondern parallel vor allem auch kommunikativ sehr intensiv zu arbeiten.
{b}Zum Abschluss: Wie sehen Sie die Zukunft des Radverkehrs?{/b}
Für die Zukunft wird es darauf ankommen, den Entscheidern und der Bevölkerung den Nutzen einer guten Rad- und Fußweg-Infrastruktur zu vermitteln, ihnen sozusagen den Return on Investment zu verdeutlichen. Ich bin inzwischen zudem davon überzeugt, dass die Infrastruktur vielerorts zwar kleinteilig verbessert werden muss, als solche aber nicht optimierbar ist. Vision und Ziel muss stattdessen die Transformation der Städte in Lebens- und Bewegungsräume sein. Mit einem sicheren Rad- und Fußverkehr für alle Alters- und Bevölkerungsgruppen als integralem Bestandteil.
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