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Taiwans stille Giganten:

Velo sitzt im Bike-Business fest im Sattel

Taiwans Fahrrad-Industrie wird von einer Reihe stiller Giganten geprägt, die zwar für eine Vielzahl von Markenherstellern fertigen, dabei selbst aber meist unter der Wahrnehmungsschwelle bleiben. Zum Beispiel der Sattelhersteller Velo, wo seit 32 Jahren eine resolute Frau am Ruder steht.

VeloStella YuVelo StammsitzVelo StammsitzVelo Produktion

Mehr Sein als Schein: Das gilt nicht nur für die Produkte, die das Werk von Velo in Schachteln mit den Logos bekannter Markenhersteller oder zunehmend auch mit dem eigenen Logo verlassen. Auch die Abmessungen der Fabrik selbst zeigen sich erst, wenn man die schmale Zufahrt zum Werksgelände passiert hat. An den Innenhof, der als Parkplatz dient und Lastern Platz zum Wenden bietet, grenzen vier mehrstöckige Gebäude. Produziert wird in dreien davon, das vierte beherbergt die Verwaltung von Velo. „Als ich 1979 die Firma Velo gründete, war alles in einem Gebäude untergebracht. Und das stand dort, wo sich nun der Innenhof befindet“, meint Stella Yu beiläufig, während sie ihre Limousine im Schatten gleich unter der Treppe abstellt, die zu den Büros hoch führt.

15 Millionen Sättel im Jahr

Mit einer jährlichen Produktion von 15 Millionen Stück ist Velo der größte Sattelhersteller der Welt. Fürs Erstausrüster-Geschäft wird in der Volksrepublik gefertigt, aber auch in der Firmenzentrale in der Region Taichung laufen jährlich dreieinhalb Millionen Sättel vom Band – oder rund 10.000 Stück pro Tag. Nur ein Bruchteil davon trägt den Markennamen Velo – oder Senso oder Plush, zwei weitere Eigenmarken. „Wir sind als Produktions-Dienstleister groß geworden. Darum sind viele Radsportler auf Sätteln aus unserer Fertigung unterwegs, ohne es zu wissen“, erklärt Stella Yu, seit der Firmengründung vor 32 Jahren Chefin bei Velo. Und damit in der von Männern dominierten Fahrrad-Industrie eine Ausnahme, die ins Auge sticht.

Zur Fahrrad-Industrie fand Stella Yu aus Not: Als Tochter einer kinderreichen Familie musste sie früh arbeiten. Sie fand Anstellung in einer Fabrik, die Fahrräder für den heimischen Markt fertigte. Dank Fleiß und Geschick machte Stella auf sich aufmerksam, und das zur richtigen Zeit. Denn der Patentschutz für Bonanza-Räder lief gerade ab. Prompt tauchten Japaner auf der Insel auf und hielten nach Produzenten Ausschau, die genau solche Räder liefern konnten. Die Folge war ein erster Boom der Fahrrad-Produktion. Rasch merkte Stella Yu, dass auch in Taiwan noch nicht alle Teile in gleich großen Stückzahlen gefertigt wurden. Und vor allem nicht in einer Vielfalt von Farben und Formen. Henry Fords Spruch lässt grüssen, wonach man seine Autos in jeder Farbe bekommen könne, so lange diese Schwarz sei.

Probleme trotz raschem Wachstum

Nach einigen Jahren in Diensten von Fahrradherstellern nutzte Stella Yu ihre Kontakte, um sich 1979 selbständig zu machen. Das Timing war gut, denn zu Beginn der achtziger Jahre stieg die Nachfrage markant an. Schon 1984 konnte ein neues Fabrikgebäude eingeweiht werden, das auch 2011 noch in Betrieb ist. Dafür musste die ursprüngliche Firmenzentrale weichen, um Raum für Parkplätze und manövrierende Laster zu schaffen. Für den wirtschaftlichen Boom, der mit dem Ende der Einparteienherrschaft in Taiwan einherging, war Velo somit gut aufgestellt. Und wollte zunächst einen großen Teil der Fertigung unter eigenem Namen verkaufen. Aber das Geschäft kam nicht recht auf Touren. Also beauftragte Stella Yu anfangs der 90er Jahre eine PR-Agentur aus den Vereinigten Staaten mit einer Analyse.

Das Fazit der Agentur gab der Chefin zu denken: „Die Amerikaner strichen in ihrer Analyse zwei Imageprobleme heraus. Erstens sei Velo eine taiwanische Firma. Und zweitens werde die Firma von einer Frau geleitet. Diese beiden Punkte konnte und wollte ich nicht ändern. Also galt es, die Art zu ändern, wie die Menschen über Taiwan als Produktionsstandort und über Frauen in Spitzenpositionen von Unternehmen denken.“ Aber zunächst galt es, mit der rasant wachsenden Nachfrage von Erstausrüstern Schritt zu halten: Die 90er Jahre brachten einen ersten Mountainbike-Boom, und Taiwan war einer der großen Profiteure des damals herrschenden Goldrausches. Bald wurde der Platz im neuen Firmengebäude wieder knapp, so dass zwei weitere Gebäude für die Fertigung sowie eines für die Verwaltung rund um den Innenhof entstanden.

Kurze Wege, hohe Flexibilität

Diese Verdichtung nach innen sorgt für kurze Wege: Auf einem Rundgang mit Marketing-Managerin Ann Chen sind keine großen Distanzen zu bewältigen, dafür aber eine Menge Treppen. Denn die Fertigung verteilt sich über drei Stockwerke: Im Erdgeschoss wird das angelieferte Rohmaterial gelagert und das Deckmaterial zugeschnitten. Zudem werden dort Sattelgestänge aus den verschiedensten Materialien gebogen und Sattelschalen im Spritzguss-Verfahren gefertigt. In den Stockwerken darüber erfolgt die Produktion der Schaumstoff-Polster, das Vernähen oder Besticken der Satteldecken sowie das Zusammensetzten der Sättel. Auch ein hauseigenes Labor darf bei Velo nicht fehlen. „In der Regel sind EN-Standards maßgebend, aber wenn ein Kunde härtere Testkriterien wünscht, kommen wir dem selbstverständlich nach“, erklärt Ann Chen vor den Testständen. Hinter ihr sausen derweil Gewichte aus einem Meter Höhe auf eingespannte Sättel herunter und Hydraulikzylinder kneten andere Sättel gründlich durch.

Als Gründungsmitglied des A-Teams legt Velo ohnehin viel Wert auf die Qualitätskontrolle. Dass 95 Prozent der Bestandteile von Velo selbst vor Ort gefertigt werden, ist da ein enormer Vorteil. Auch sonst orientiert man sich am Toyota Production System, das eine flexible Produktion und kurze Lieferzeiten vorsieht. Wie flexibel Velo als Hersteller ist, zeigt sich an den beiden Fließbändern, wo die Schaumpolster von Sätteln gefertigt werden: Das geübte Auge erkennt auf Anhieb charakteristische Formen verschiedener Markenhersteller. Dank Mikrochips in den Gussformen weiß die Maschine immer, wie viel Schaum in die jeweilige Negativform gehört. Eventueller Ausschuss wird sogleich zerkleinert und wieder verwendet. Ein Stockwerk weiter wird in den Näh-Ateliers fleißig an Satteldecken gearbeitet, ehe diese in der großen Halle nebenan an drei verschiedenen Produktionslinien mit den übrigen Bauteilen vereint werden.

Der Weg zur starken Marke

Doch die Flexibilität geht noch viel weiter, was laut Stella Yu schon immer eine Stärke von Velo gewesen ist: „Statt den Kunden eine Auswahl bestehender Sättel zu bieten, frage ich sie, welche Art Sattel sie wünschen. Denn die Farbe wie die Form des Sattels sind für die gesamte Optik eines Fahrrades entscheidend.“ Über die Jahre hat Velo dieses Rezept perfektioniert – und das Sortiment Schritt für Schritt ausgebaut. Zu den jüngsten Produkten zählen eigens für e-Bikes konzipierte Sättel, ausgesprochen sportliche Modelle mit Carbon-Sitzschale und ergonomische Griffe, die unterm Markennamen „Attune“ in den Handel gelangen. Auch Griffe mit exakt zu den Sätteln passenden Farben und Mustern dürfen nicht fehlen. Auch hier hat Stella Yu wieder eine gute Nase für Trends bewiesen - und trotz der Erfolgsgeschichte in den vergangenen 32 Jahren noch nicht genug.

Denn Velo soll künftig als Marke gestärkt werden. Dazu greift man dem Fachhandel unter die Arme: Neue POS-Displays kommen der Warenpräsentation zu Gute. Online stehen dank einer B2B-Plattform viel Informationen, aber auch digitales Bildmaterial zur Verfügung. Die Plattform VeloWorld wiederum bietet Informationen und aktuelle Meldungen zu Sportlern, die von Velo unterstützt werden. Mit der «Senso Wildlife»-Kampagne hat Velo zudem nicht nur eine der Eigenmarken beworben, sondern auch einen Beitrag zur Erhaltung der Lebensräume großer Raubkatzen im südlichen Afrika geleistet. An die große Glocke mag Stella Yu das aber nicht hängen. Auch hier gilt: Mehr Sein als Schein ist angesagt.

31. Oktober 2011 von Laurens van Rooijen

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