Report - Zwift
Virtueller Spaßtreiber
Es ist ein virtueller Boom, der jetzt auch in den stationären Handel schwappen soll – so jedenfalls wünschen es sich die Macher von Zwift. Innerhalb von knapp drei Jahren hat ein Start-up aus Kalifornien das gute alte Rollentraining für hunderttausende Menschen in aller Welt maßgeblich verändert. Was anfangs aussah wie ein buntes Upgrade für ein paar Stunden im dunklen Winter, ist für viele Sportler nun fester Teil des Ganzjahres-Trainings geworden. Und eben auch für den Handel ein Thema.
Zwift ist die aktuell wichtigste virtuelle Trainingsplattform für das Radfahren in geschlossenen Räumen. Das 2014 gegründete Unternehmen aus Long Beach in Kalifornien bietet seit Ende 2015 für 15 Euro im Monat Zugang zu strukturierten Trainingseinheiten und Wettkämpfen ebenso wie zu Online-Gruppenausfahrten im Internet.
Zwift bietet eine Internetplattform, auf der die Nutzer während ihrer Indoor-Einheiten auf Basis der Daten ihrer Trainingsrolle oder ihres Powermeters eine Fahrt durch virtuelle Landschaften bestreiten. Anwender verbinden ihren Fernseher, ihren Computer, ihr Smartphone oder ihr Tablet mit dem Internet und ihrer Rolle bzw. ihrem Smart-Trainer und finden in den drei virtuellen Welten von Zwift Touren vor, die sie unterschiedlich beanspruchen. Die Software steuert den Widerstand der Rolle, sofern man eine entsprechende Hardware hat. Dabei ist es unerheblich, von welchem Hersteller die Rolle ist – Tacx, Bkool, Wahoo und andere funktionieren mit Zwift.
»Wir sind sehr zufrieden damit, wie wir uns als gamifizierte Softwarelösung etabliert haben«, sagt Kai Rapp, Territory Manager für die DACH-Region, früher Chef der Deutschland-Tour und danach bei Lagardère u.a. verantwortlich für die Hamburger Cyclassics und den Berliner Velothon. »Die Rollenhersteller haben sich mit begleitender eigener Software schwergetan, wir haben uns dagegen voll auf eine spaßige und gut funktionierende Plattform konzentriert.«
Gamification auf der Rolle
Der Reiz an Zwift ist, dass die Software aus schweißtreibendem Pflichttraining ein Spiel macht und dabei auch noch die soziale Komponente stärkt, etwa mit einer Chatfunktion. Das hat auch Roman Schelhas überzeugt, den Store-Manager der Giant Cycling World in Düsseldorf. Inspiriert von einem Zwift-erfahrenen Kollegen aus Taiwan hat man sich in dem nordrhein-westfälischen Geschäft mit dem Potenzial von Zwift beschäftigt. Im Mai richtete man drei »Ride Like King«-Rennen aus, Fahrten auf der virtuellen Plattform Zwift, bei der die Teilnehmer auf sechs Rädern in der Werkstatt des Radgeschäfts ebenso mitradelten wie mehrere Hundert Teilnehmer und Teilnehmerinnen, die sich bei Zwift dazuschalteten.
Schelhas sieht das Potenzial von Zwift für die Nutzer: »So sehr ich das alte Rollentraining gehasst habe, so abwechslungsreich und unterhaltsam ist das Training mit dem virtuellen Männchen«, sagt Schelhas. Für den Handel ein spannendes Thema. »Wir wollen eine Zwift-Community für unseren Store aufbauen«, sagt Schelhas, sowohl für die Männer mit der Marke Giant als auch für Frauen mit der Marke Liv will man ab Herbst wöchentliche »Rides« bei Zwift anbieten, die während der Ladenöffnungszeiten stattfinden. Klar geht es dabei nicht nur um den Austausch und die Kundenbindung, sondern in letzter Instanz auch um den Verkauf von Zubehör, etwa Bodenmatten oder natürlich moderne Rollentrainer.
Normalerweise stehen im Giant-Store in Düsseldorf immer drei Wahoo-Tickr-Trainingsgeräte, die mit Fernsehern verbunden sind. Und auf den Bildschirmen können Kunden beim Pedalieren ihre Leistungen in Zwift simulieren lassen. »Das ist ein echter Publikumsmagnet«, sagt Schelhas. Sehr häufig blieben auch andere Kunden stehen, wenn jemand das Online-Tool teste.
Diesen Effekt möchte Zwift nun möglichst bei vielen Händlern erreichen. Kai Rapp verweist deswegen auf ein Händlerprogramm, das sein Arbeitgeber im vergangenen Herbst startete. Es trägt den Namen »Zwift Experience Dealer«. Die angeschlossenen Händler bekommen nicht nur Marketing-Material für Zwift, sondern verkaufen Mitgliedskarten für drei oder zwölf Monate – und erhalten eine Provision für die Vermittlung der neuen Kunden. Die Hypothese der Zwift-Unternehmensleitung: Mit einem Bundle aus animierender Software und modernen Rollentrainern im Geschäft wird es leichter, Kunden kompetent zum Thema Indoor-Radfahren zu beraten und entsprechend auch Material zu verkaufen.
Umsatzchance für den Fachhandel
»Man kann mit dem Verkauf von Rollen und dem Zubehör durchaus Geld verdienen«, sagt Kai Rapp, und er denkt, dass Zwift dafür eine Schlüsselrolle spielen kann. Zwift organisierte jüngst im Rahmen der Eurobike einen Summit zum Rollentraining, bei dem alle führenden Rollenhersteller und Powermeter-Hersteller erschienen sind. Dass die spaßsteigernde Software immer beliebter wird, ist mehr als ein Gefühl. Über 30.000 Zwift-Konten sind bislang in Deutschland angelegt worden. Dazu kommen etwa 513.000 Fahrstunden auf der Plattform von Nutzern in Deutschland bis zum Redaktionsschluss im Juli. Fakten zum Vergleich der Jahresdaten seit Start der App im Jahr 2015 bekommt man allerdings vom Anbieter nicht – wie bei vielen Start-ups üblich, sind die verbreiteten Daten nicht unbedingt aussagekräftig und transparent.
Roman Schelhas von der Giant Cycling World in Düsseldorf hat schon eine Erfolgsgeschichte erlebt, die er auf den motivierenden Ansatz des virtuellen Trainings zurückführt. Im Sommer stattete sich ein Kunde mit dem kompletten Sortiment an Hardware und Zubehör von Wahoo aus. Gut 1800 Euro ließ der Kunde dafür im Laden.
Händlernetz im Aufbau
Etwa 15 Geschäfte, sagt Kai Rapp, sind bislang in Deutschland in das Händlerprogramm von Zwift eingestiegen. »Wir denken, dass es eher in einen Laden passt, der sich Zeit für die Beratung sportlicher Kunden nimmt«, sagt er – weswegen man eher auf »High-Performance-Dealer« setzt. Zudem wird das Thema hierzulande anders als in Asien nach Einschätzung der Zwift-Macher erst in den kommenden Monaten spannender.
In Deutschland gilt der Verkauf von Indoor-Ausstattung zudem bisher eher noch als Thema für einen eingeschränkten Zeitraum. »Klar ist das eher etwas für kühle Monate«, sagt Händler Roman Schelhas aus Düsseldorf. Gerade jedoch diese asaisonale Ausrichtung könnte das vernetzte Indoor-Training für den Handel noch interessanter machen.
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