Report - eCommerce International
Von den Besten lernen
Onlinehandel geht nicht mehr weg. Auch Fahrräder werden immer häufiger im Netz gekauft. Das drückt auf die Margen, denn der Wettbewerb wird internationaler. Gleichzeitig ermöglicht das jedem einzelnen Händler und jeder Marke, das Geschäftsfeld zu erweitern und die eigene Positionierung zu schärfen. Denn auch wenn die Velo-Branche das nicht gerne hört, sind viele Kunden indifferent, was das Thema Marke angeht. Das heißt, dass deren Kaufanreize von anderen Merkmalen ausgelöst werden: dem besseren Kauferlebnis, dem niedrigeren Preis, dem besseren Service. Daraus bilden sich neue Markenbilder. Jedes Element der Wertschöpfungskette trägt dazu bei.
Auf der Suche nach dem Markenbild der Zukunft – und das gilt gleichsam für Händler als auch Hersteller – lohnt es sich, einen Blick auf die veränderten Konsumansprüche zu werfen. Der TV-Shopping-Sender QVC – einer der richtig großen Online-Händler – führt regelmäßig Befragungen unter jungen Menschen durch. Die spannendsten Erkenntnisse letztes Jahr waren, dass sich 31 Prozent der Befragten eine direkte Verbindung zwischen Mensch und Maschine vorstellen können, dass fast zwei Drittel der Befragten verstärkt auf personalisierte Produkte abfahren, dass 61 Prozent auf Produkte stehen, die sie auch selbst reparieren können und dass langfristig die virtuelle mit der realen Realität immer stärker verschmilzt.
Im Folgenden haben wir zehn allgemeine Trendthemen definiert und nach Händlern gesucht, die diese Themen in den Mittelpunkt rücken. Dabei wandert der Blick längst nicht mehr nur in die USA. Viele Innovationen kommen dieser Tage aus Asien und selbst Entwicklungsländer zeigen, wo es lang geht - zumindest wenn man auf mobile Lösungen schaut.
Trend 1: Plattformen
Plattformen integrieren mehrere Geschäftsmodelle, das macht sie so stark. Amazon setzte im ersten Quartal 2018 über 2 Mrd. US-Dollar nur mit Werbung um. Das bedeutet, dass langfristig im Produkthandel keine Marge mehr erzielt werden muss, denn die Vermarktung der Daten reicht als Umsatzquelle. Alle, die gehofft haben, dass Amazon irgendwann seine Preise heben muss, haben sich getäuscht.
Aber was ist schon Amazon im Vergleich zu Alibaba? Am 11. November 2018, dem Singles Day, setzte Alibaba 11 Mrd. US-Dollar um - in einer Stunde. Der Handelsriese aus China konzentriert sich im Online-Verkauf noch stark auf den chinesischen Markt und hat dort auch längst den stationären Handel aufgemischt. Expansion treibt Alibaba vor allem im pazifischen Raum. Sobald USA und Europa auf der Agenda stehen, dürfte das die Märkte auch dort gewaltig durcheinander wirbeln.
Plattformen gehören für viele Marken längst zum integralen Teil der Verkaufsstrategie und auch für den Media- und Marketingplan werden sie immer wichtiger.
Trend 2: Künstliche Intelligenz
KI ist eines der größten Buzzwords des letzten Jahres. Sicher wird es auch dieses Jahr eine überragende Rolle spielen, aber längst ist klar geworden, dass es sich dabei schlicht um bessere Software handelt und somit kann es nicht verwundern, dass KI keine Zukunftsvision ist, sondern längst überall im Handel stattfindet.
Bei Otto in Hamburg nutzt man KI vor allem in der Bilderkennung. Das dient der besseren Produktbeschreibung oder dem Angebot besserer Empfehlungen. Außerdem findet die KI Korrelationen zwischen Produkten, die sonst nichts miteinander zu tun haben. Kauft ein Sockenliebhaber mit Vorliebe auch ein E-Mountainbike?
Lego in Dänemark nutzt die KI, um Spielzeug »intelligenter« zu machen. Einerseits kann das Spielzeug mit dem Kind kommunizieren, andererseits kann es je nach Kontext unterschiedliche Aktionen ausführen, wird also flexibler.
Google zeigte mit dem Produkt Lens auch bereits die mobile Navigationsmethode der Zukunft. Es bedarf keiner Website mehr, nicht mal eines Onlineshops. Wer mit Lens ein Produkt scannt, wird direkt zum Angebot über Google Shopping geleitet. Die Produkte kann man einfach in Datenbanken vorhalten und mit Google Shopping synchronisieren. Das ist dann schon der nächste Trend: Shop in the cloud.
Trend 3: Conversational Commerce
Einer der Aspekte, die eCommerce-Angebote voneinander unterscheiden, ist der Service-Level. Amazon ist längst nicht mehr Preisführer in allen Segmenten, hat sich aber beim Kunden das Image des »das funktioniert immer und unkompliziert« erarbeitet. Die Leistungsfaktoren dabei waren eine kulante Retourenpolitik sowie ein möglichst einfacher Bestellprozess.
Letzteres bekommt aktuell eine neue Note, die vor allem Spezialisten einen Marktvorteil im Vergleich zu großen anonymen Plattformen eröffnet. Die Rede ist von Conversational Commerce, also betreutem Einkaufen. Der User ist es aus dem Privaten gewohnt, mit Chats umzugehen, und diese Vorbildung lässt sich zum Vorteil nutzen. Die beratende Unterstützung via Chat lässt sich schon bei der Produktauswahl, der Differenzierung von Technologien oder der Konfiguration des Idealprodukts einsetzen. Und im weiteren Kaufprozess funktioniert das auch für die Bestellung selbst, die Nutzung des Webshops und die Abwicklung - alles klassische Beratungsleistungen aus dem Handel.
All das kann der Hersteller auch. Aber der markenneutrale Händler hat auch noch die Chance, Produkte unterschiedlicher Hersteller zu vergleichen und seine Beratungsleistung dadurch relevanter zu machen.
Interessant zu beobachten ist, dass Schwellen- und Entwicklungsländer hier besonders schnell voranschreiten, weil sie direkt auf die mobile Infrastruktur samt Messenger-Apps setzen und das kabelgebundene Internet schlicht überspringen. In Nigeria bezahlt man beispielsweise direkt mit Kudi. Einfach die Bankverbindung des Empfängers und den Betrag im Messenger eingeben, die Kontrollmeldung bestätigen und schon ist bezahlt. So wird jeder Wochenmarkt zum digitalen POS, auch ohne große Hardwareaufrüstung beim Händler.
In den Industrienationen wird das ergänzt durch Automatisierung. Domino´s liefert Pizzen, die über einen automatischen Bestellprozess im Facebook-Messenger geordert werden. Mildred heißt der Buchungs-Chatbot der Lufthansa, der sich auch mit Sehenswürdigkeiten und Feiertagen auskennt. Und KLM unterstützt Fliegende nicht nur bei der Buchung, sondern auch bei der Flugabwicklung mit einem Chatbot.
Der Chatbot ist erst die zweite Stufe der Entwicklung und nur relevant, wenn viele gleichförmige Bestellungen oder Anfragen eingehen (Stichwort: FAQs). Das ist also die Kür. Aber die Pflicht ist, einen Chat in die eigene Website einzubauen und mit kompetentem Service-Personal zu verbinden. Das muss auch nicht 24/7 funktionieren: Öffnungszeiten im Chat sind zwar nicht ideal, aber inzwischen gelebte Praxis. Ergänzend kann man dem Nutzer ja anbieten, eingehende Fragen direkt am Morgen des nächsten Werktags zu beantworten oder zurück zu rufen.
Trend 4: Voice
Vom Chat ist es nicht weit zur Sprache. Die Menge der gesprochenen Suchanfragen bei Google steigt deutlich an. Das liegt vor allem daran, dass die Spracherkennung dank Künstlicher Intelligenz viel besser geworden ist. Auch wenn man vor Jahren noch darüber gelächelt hat: Die User sprechen mit ihren technischen Geräten lieber als zu tippen.
Und sie sprechen auch immer mehr mit Gegenständen des Alltags. Das Internet of Things gibt theoretisch jedem Gerät eine Netzverbindung und dadurch Sprachfähigkeit. Die Supermarktkette Hug Mat in Japan hat Gemüsekisten mit Sprach-Interface entwickelt. Es werden Geschichten und Erklärungen von den Landwirten hinterlegt, die das Gemüse erzeugt haben. Man kann die Tomate also fragen, wo sie herkommt und welche Pflege sie bisher genossen hat.
Die Sprachsteuerung von Navigationssystemen ist auch für die Radbranche unmittelbar relevant. Kopfhörer und Mikros werden in Helmen verbaut oder als winzige Headsets getragen und bilden die Schnittstelle zum Bordcomputer sprich Smartphone. Die Sprachexperten von Nuance stellten zur CES 2019 in Las Vegas ein System der Augmented Reality mit Sprachein- und -ausgabe vor. Das System erkennt zum Beispiel markante Sehenswürdigkeiten am Wegesrand und erzählt, um was es sich handelt. Bei Restaurants ist dann sogar eine Tischreservierung per Sprache möglich.
Zwei Ebenen gilt es für die Radbranche unmittelbar zu bearbeiten. Zum einen muss geprüft werden, wie sich der Zugang zu Angeboten im Netz ändert. Was spucken Amazon (Echo/Alexa) oder Google aus, wenn man die SmartSpeaker oder Apps nach »e-Bike für den Stadtverkehr« fragt? Das beeinflusst Content Marketing und Angebotskommunikation gleichermaßen.
Zum Zweiten sollte man sich Gedanken darüber machen, ob man eigenen Audio-Content produziert. Das kann ein Podcast sein, vielleicht sogar ein Skill für Alexa. Auf jeden Fall sollte man seinen Firmennamen auf »Sprechbarkeit« prüfen.
Trend 5: Automatisierung
Alles, was automatisierbar ist, wird automatisiert werden. Im Fullfillment werden Lieferkosten sinken, wenn autonome Roboter Produkte ausliefern, wie das derzeit in Hamburg getestet wird. In Japan begrüßt das Hotel Henn-na seine Gäste mit Robotern an der Rezeption und die US-Kaffeekette Cafex lässt das Heißgetränk von Maschinen vollautomatisch frisch zubereiten.
Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Serviceroboter auch bei Fahrrädern kleinere Arbeiten verrichten werden. Das kann Arbeitsplätze kosten, aber davor darf man die Augen nicht verschließen. Andererseits erlaubt die Automatisierung im Marketing auch kleinen Händlern sehr ausgefeilte Kampagnen zu fahren, selbst wenn nur ein einziger Mitarbeiter das Online-Marketing betreut. Beginnen sollte man unbedingt beim E-Mail-Marketing. Nichts lässt sich besser automatisieren. Auch das Empfehlungssystem im Online-Shop kann heute dank KI wesentlich bessere Vorschläge ausspielen als früher. Vollautomatisch.
Trend 6: Individualisierung
Die zuvor bereits zitierte Zukunftsstudie von QVC besagt, dass Menschen verstärkt Spaß an individualisierten Produkten haben. Gleichzeitig gibt es aber auch einen Gegentrend, nämlich das Schwarmverhalten. Man denke an das omnipräsente »Levis-T-Shirt« mit dem roten Brustbalken. Junge Menschen sehen sich auch gerne als Teil einer Gruppe und empfinden Zugehörigkeit.
Ein gutes Rad darf weiterhin als Teil einer Produkt- und Markenfamilie gut zu erkennen sein, um das Flair der Marke zu transportieren. Gleichzeitig bietet der Trend zur Individualisierung dem stationären Händler die einzigartige Chance, eine ganz neue Wertschöpfungsebene zu erschließen.
Die spannendste Technik hier ist zweifellos der 3D-Druck. Er wird zum Veredelungswerkzeug am Point of Sale. Toyota hat im vierrädrigen Elektro-Roller iRoad eine variable Frontplatte eingebaut, die vom Kunden ausgetauscht und personalisiert werden kann. Mini hat das mit dem Türgriff ähnlich gemacht. Bei Katjes in Berlin kann man sich ganz individuelle Gummibärchen drucken lassen und in den USA werden erste Fertighäuser mit gigantischen 3D-Druckern erzeugt. Für 20.000 bis 50.000 US-Dollar pro Stück.
Die Individualisierung in der Kommunikation ist ebenfalls eine große Stärke, die der einzelne Händler, der seine Kunden kennt oder den seine Kunden kennen, ausspielen kann. Beim Handling helfen Automatisierungswerkzeuge. Die Individualisierung des Onlineshops ist spannend, aber auch aufwändig. Es gibt einfache Zwischenstufen, nämlich wenn man dem Nutzer die Chance einräumt, sich Favoriten und Konfigurationen zu speichern.
Trend 7: Phygital
Virtual Reality auf der einen Seite und das bereits angesprochene Internet of Things sorgen dafür, dass die physische und die Online-Welt immer weiter verschmelzen. Zum Beispiel in Sachen Kaufkanäle erwarten die Nutzer heute, dass sie online sehen können, welche Produkte im Laden sind. Oder sie wollen Konfigurationen, die sie im Laden gemacht haben, auch im Netz nutzen können.
In Berlin zeigt die Data Kitchen, wie Gourmetküche und Digitalisierung zusammenfinden. Das Essen wird per App bestellt und in per Smartphone steuerbaren Schließfächern ausgegeben. Hergestellt wird das Essen von ganz echten Spitzenköchen.
Und in China testen Alibaba und Ford gerade den Prototypen eines Autoverkaufsautomaten. Da gibt es dann gar keinen Verkäufer mehr. Die Kreditwürdigkeit der Kunden wird übrigens über den Social Score gemessen. Eine Art staatliches Bewertungssystem fürs »Gutmenschsein«.
Unmittelbar wirkt sich »phygital« auch auf das Marketing aus. Dank Instagram und Pinterest wird alles fotografiert, was cool aussieht. Shop-Design muss heute »instagrammable« sein, dann muss man selbst auf diesem Kanal gar nicht viel tun. Die Kunden verbreiten die frohe Kunde selbst. Ein cooles Fotomotiv oder gleich eine Fotoecke gehören in jeden Laden.
Trend 8: Mixed Reality
Ganz nah an phygital ist auch die Mixed Reality, also die digitale Verschmelzung des Kamerabilds aus dem Smartphone mit digitalen Daten. Die Rheinländer von Cologne Intelligence nutzen Augmented Reality, um Kunden in großen Läden, Shopping Malls oder auf Flughäfen zum Ziel zu führen.
Unmittelbar wirkt Mixed Reality vor allem auf die Navigationssysteme (siehe Voice) und auf die Produktpräsentation. Der Modehändler GAP hat ein System gezeigt, dass dem Online-Käufer erlaubt, sich in einem modischen Outfit in seinem eigenen Wohnzimmer zu platzieren. Ikea experimentiert mit einer App, mit der Kunden sich ganze Räume virtuell einrichten und gestalten können.
Dass Mixed Reality den ganzen Ladenbau verändern kann, zeigt die Reisegesellschaft Virgin Holidays. Hier sitzen Kunde und Berater auf einer Couch und besichtigen Zieldestinationen und Hotels auf riesigen Monitoren und mit VR-Brillen.
Trend 9: POS Everywhere
Diese Entwicklung ist für den stationären Radhändler keine gute: Dank mobil verfügbaren Bezahlmethoden und immer besserer digitaler Warenpräsentation löst sich der POS von seinen festen Mauern. Amazon Go heißt das Projekt mit komplett personalfreien Supermärkten und auch Saturn hat bereits den Self-Checkout eingeführt. Kunden können auch im Markt per App bezahlen und einfach den Shop verlassen.
Künftig ist aber auch jedes Plakat ein POS. In Kanada klebte Spielehersteller Matell ein Plakat mit einem Regal außen neben Walmart-Eingänge. Die Produkte waren mit QR-Codes versehen und die führten direkt zum Kauf auf walmart.com.
Aber es gibt auch gute Nachrichten. Händler, die sich von ihrem Laden lösen, können auf jedem lokalen Sportevent einen virtuellen Store dabei haben. Sie können neue Kooperationen angehen, wie zum Beispiel JD.com und Sheraton. Ausgewählte Hotelzimmer werden mit kaufbaren Produkten ausgestattet, die der Gast einfach mitnehmen kann.
Außerdem bedeutet POS Everywhere auch, dass mobile Service-Stationen immer mehr werden. Bevor Drittanbieter den so wichtigen Service-Markt durcheinander wirbeln, sollte man sich selbst Gedanken darüber machen, diese Entwicklung zu nutzen. Das gilt natürlich auch für Hersteller, die auf diesem Weg die Kundenbindung steigern können.
Trend 10: Store Experience
Insgesamt deutet vieles darauf hin, dass sich in naher Zukunft einiges am Ladenbau ändern wird und sollte. Das ist aber kein Selbstzweck sondern folgt dem jeweiligen Businessmodell.
{b}Vier Beispiele zur Inspiration:{/b}
- Rapha Bikes betreibt unter anderem in Berlin Stores, die wie
Kaffees aufgebaut sind und als Clubhaus bezeichnet werden.
• Duftfabrikant L´Occitane führt in Tokyo einen Laden, wo in einem Vorführraum ein kleines Stück Provence inszeniert wird. Mit Musik, Duft, VR-Präsentation und Schauspielern.
Die Bratspezialisten von Weber-Grill zeigen in Berlin eine Parallel-Installation. Links die Akademie, rechts der Shop. Und beide Plattformen befeuern sich gegenseitig.
Alibaba betreibt in China zwei Dutzend Hema-Stores. Die riesigen Supermärkte gleichen vom Angebot her eher Markthallen. Und wer will, kann das Gekaufte von Profiköchen gleich zubereiten lassen.
Fazit
Die exponentielle Entwicklung der Digitalisierung sorgt dafür, dass immer mehr Innovationen immer schneller auf den Markt kommen. Entscheidend für die Radbranche aber ist nicht, was machbar ist, sondern wie sich die Kundenreisen und die Ansprüche ändern. Einige Reaktionsmuster auf digitale Entwicklungen sind durchaus analog, zum Beispiel im Bereich Service.
Aber klar ist: Es wird sich einiges ändern. Und zwar nicht einmalig, sondern permanent. Flexibilität im Ladenbau, im Geschäftsmodell, in den Geschäftsprozessen, aber vor allem auch in den Köpfen ist die Kernkompetenz dieser Tage.
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