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Report // Patente in der Fahrradbranche

»Zuerst abklären, dann loslegen«

Zur Entwicklung neuer Fahrräder, aber auch von Komponenten und Anbauteilen, gehört immer auch ein Hindernislauf um bestehende Patente herum. Im Interesse der Innovation ist der Schutz geistigen Eigentums berechtigt, er bedeutet gleichzeitig eine Herausforderung.

Alle paar Monate erscheinen auf Fahrradportalen Artikel, in denen über ein neu erteiltes Patent eines großen Akteurs der Fahrradindustrie berichtet wird. Im November 2019 sorgte etwa die Entdeckung eines neuen Patents von Shimano für Schlagzeilen, bei dem es um ein kompaktes, im Tretlagerbereich zu verbauendes Getriebe mit 13 Gängen ging, das für sportliche Fahrräder gedacht war. Wird Shimano in den kommenden Jahren ein solches Getriebe auf den Markt bringen? Das kann, muss aber nicht der Fall sein, wie ein anderes Patent der Japaner zeigt: Bereits Ende der 90er-Jahre hatte Shimano ein Patent für eine 14-Gang-Kassette und eine besonders schmal bauende Kette ohne Rollen erhalten. Dieses Patent lief 2019 aus und wurde nie kommerziell umgesetzt.
Dafür hat Sram im Mountainbike-Segment mit Einfach-Antrieben, also der Kombination von nur einem Kettenblatt mit Kassetten mit großer Bandbreite, auf das richtige Pferd gesetzt. In einem gewissen Sinne hat Shimano das Aufkommen dieser Einfach-Antriebe selbst provoziert: Die Japaner haben ihre Schlüsseltechnologien rund um den Umwerfer und spezielle Kettenblätter mit Schalthilfen so gut abgesichert, dass Mitbewerber große Mühe bekundeten, eine unter Last auch nur annähernd so gut funktionierende Schaltung hinzubekommen. Statt sich weiter mit den Tücken eines Umwerfers herumzuplagen, hat Sram dieses Teil am Mountainbike komplett eliminiert und auf Kassetten mit einer umso größeren Bandbreite gesetzt. Dieses Konzept ahmt inzwischen sogar Shimano selbst nach.
Diese Beispiele verweisen auf zwei Aspekte rund um das Thema Patente: Erstens ist der Schutz des geistigen Eigentums nicht nur geografisch, sondern auch zeitlich beschränkt – in der Fahrradindustrie beträgt diese Frist in der Regel 20 Jahre, wobei die Kosten für ein Patent mit dessen Gültigkeitsbereich markant ansteigen. Und zweitens führt längst nicht jedes erteilte Patent zu einem auf dem Markt kommerziell verfügbaren oder gar erfolgreichen Produkt. Im Grunde geht es beim Patentschutz um einen Tauschhandel zwischen Erfindern und einer staatlichen oder überstaatlichen Behörde: Das Patentamt garantiert den Schutz des geistigen Eigentums und damit verbunden ein zeitlich begrenztes, exklusives Anrecht auf dessen kommerzielle Verwertung im Tausch gegen eine Dokumentation und Publikation des Know-hows. So wird sichergestellt, dass möglichst kein Wissen beim Ableben eines Erfinders verloren geht.

Patente als Investitionsschutz

Was spricht aus Sicht eines Herstellers dafür, eine technische Lösung patentieren zu lassen? Als Chief Technical Officer von DT Swiss meint Martin Walthert: »Ohne Schutz des geistigen Eigentums würden die Investitionen in neue Technologien nicht getätigt und damit die Innovation als solche erlahmen. Für ein nachhaltiges Geschäftsmodell sind Patente daher gerade für Unternehmen wichtig, die in technischer Hinsicht führend sind und die Entwicklung des Materials vorantreiben.« Die Aussicht auf eine exklusive Verwertung rechtfertigt aus betriebswirtschaftlicher Sicht eine substanzielle Vorleistung. Die mit einem Patentverfahren verbundenen Kosten – für Gebühren, aber auch für spezialisierte Patentanwälte, die selbst bei größeren Branchenakteuren meist als Externe hinzugezogen werden – fließen dabei wie anfallende Werkzeugkosten in die Kostenkalkulation ein.

Leider ließ sich keiner der von Velobiz für diesen Artikel kontaktierten Hersteller in dieser Hinsicht auf eine konkrete, prozentuale Angabe ein. Wie schwer mit der Patentierung verbundene Kosten in der Kalkulation wiegen, hängt aber auch stark von verschiedenen Faktoren ab. Da wäre einmal die Frage nach den Stückzahlen: Bei Doppeldickend-Speichen von DT Swiss, die in großer Stückzahl gefertigt werden, schlagen diese Kosten pro Einheit sicher weniger zu Buche. Anders sieht das bei besonders aerodynamischen Systemlaufrädern aus, etwa bei der »NSW«-Serie von Zipp mit den auffälligen, den Flossen von Buckelwalen nachempfundenen Höckern an der Felge. Nicht immer wird neue Technologie wie bei einer Zwölfgang-Schaltung nach und nach an tiefere Preispunkte durchgereicht, wo die Stückzahlen markant höher ausfallen und sich die Kosten pro Einheit daher reduzieren. Zudem ist zu beachten, dass Patentkosten über den zu erwartenden Lebenszyklus des Produkts verteilt werden – also über den zu erwartenden Abverkauf über mindestens drei bis fünf Jahre.

Kosten werden verteilt

Eine andere Möglichkeit, mit dem Patentverfahren verbundene Kosten wieder einzuspielen, liegt in der Lizenzierung patentierter Technologie. Diese hat am Beispiel gewindeloser Ahead-Steuersätze den beiden Unternehmen Tange und Cane Creek über Jahre hinweg gute Einnahmen gesichert. Auch Specialized gab, wenn auch sehr sparsam, Lizenzen für die ursprünglich von Horst Leitner entwickelte FSR-Viergelenk-Kinematik an andere Hersteller aus. Für den Inhaber eines Patents bietet die Lizenzierung eine Chance, die Marktrelevanz über das Potenzial der eigenen Marke hinaus zu steigern. Im Fall der Ahead-Steuersätze war dies ein durchschlagender Erfolg. Aus Sicht der Lizenznehmer zieht diese Art des Vorgehens zwar Kosten für die Lizenz nach sich, erspart aber den Aufwand, um eine eigene Technologie zu entwickeln und zur Serienreife zu bringen. »Zudem bietet lizenzierte Technologie aus Sicht der Hersteller wie der Endverbraucher eine gewisse Gewähr in Sachen Kompatibilität und Funktion«, fügt Shimano-Europe-Mediensprecher Ben Hillsdon an.
Als Pendant zu Open-Source-Software in der Informatik können offene Standards gesehen werden: Diese bieten eine Gewähr für Kompatibilität über verschiedene Hersteller hinweg. Aus Sicht von Herstellern ist ein offener Standard dann sinnvoll, wenn man schnell viele Marktanteile erobern oder einen neuen Markt erschließen will. Ein Beispiel dafür ist der XD-Freilaufstandard für Kassetten von Sram mit einem 10-Zahn-Ritzel. Um der hauseigenen Einfach-Schaltungstechnologie auf breiter Front zum Durchbruch zu verhelfen und sie kompatibel mit so vielen Laufrad-Herstellern wie möglich zu machen, war dieser Standard von Anfang an offen. Dagegen gibt Sram für die patentierte Narrow-Wide-Technologie, welche die Kette bei Einfach-Antrieben sicherer auf dem Kranz hält, nur Lizenzen aus und scheut bei Verstößen den Gang vor den Richter nicht. Easton und Race Face können dies aus leidvoller Erfahrung bezeugen.
Berichte über patentrechtliche Verfahren verweisen auf einen weiteren wichtigen Aspekt, der für Hugo Davidson als Mitgründer des Zubehöranbieters Knog zentral ist: »Ein Patent für ein Design oder eine Technologie zu erhalten, ist das eine. Für den Schutz des geistigen Eigentums ist es entscheidend, diesem Patent auch Beachtung zu verschaffen. Angesichts der vielen Onlineshops muss man als Hersteller heutzutage fast mit Spezialisten kooperieren, um den Überblick nicht zu verlieren.« Als problematisch erweist sich dabei immer wieder der Produktionsstandort China: Viele Auftragsproduzenten sehen Patente dort eher als unverbindliche Sache, und die Regierung geht nicht gegen Verstöße vor, um der eigenen Wirtschaft nicht zu schaden. Erst wenn Ware in ein Land mit robustem Patentschutz exportiert oder dort auf einer Messe ausgestellt wird, ergibt sich eine Handhabe gegen unautorisierte Kopien und Plagiate und deren Produzenten. Da China als Absatzmarkt für die meisten Akteure der westlichen Fahrrad-Industrie kaum eine Rolle spielt, halten sich die Verluste auf diesem schlecht regulierten Markt in engen Grenzen.

Steter Kampf gegen Plagiate

Wer zum Opfer von patentwidrigen Kopien wird, kann sich als innovativ darstellen. Wer hingegen selbst eines Verstoßes gegen Patente beschuldigt wird, hat außer einem juristischen Problem auch eines für das Marken-image. Das hat Folgen für das Vorgehen von Unternehmen, die neue Produkte auf den Markt bringen wollen, wie Markus Schulz von by.schulz erklärt: »Sobald ein Grundkonzept für ein neues Produkt steht, sichten wir, ob bereits ähnliche Produkte auf dem Markt sind, und nehmen gegebenenfalls eine Patentrecherche vor. Danach erfolgt eine Abwägung der Umsetzung nach den Kriterien Wirtschaftlichkeit und Aufwand.« Ähnlich äußert sich Martin Walthert von DT Swiss: »Die Devise lautet, zuerst abklären, dann loslegen: Ein kontinuierliches Monitoring des Marktes, eine proaktive Kommunikation mit eventuell betroffenen Parteien und eine sorgfältige Patentrecherche können einem Hersteller viel Ärger ersparen. Bei DT Swiss beziehen wir die Projektleiter und Produktmanager von Anfang an in diese Prozesse mit ein.«

Lauter werdende Kritik

Die Vorzüge eines Patentschutzes bezweifelt kaum jemand. Allerdings mehren sich seit vielen Jahren die Stimmen, die an der aktuellen patentrechtlichen Praxis zweifeln. Die Kritik konzentriert sich auf den Umstand, dass in der Wahrnehmung vieler Akteure Patente zu großzügig vergeben werden. Patentämter seien eher am Gebührenaufkommen interessiert als an langwieriger Prüfung, was zu einer Patentflut geführt habe. Statt um Innovation gehe es dann zu oft eher um das Blockieren neuer Konkurrenz und die Herstellung von Marktmacht. Das Problem findet sich auch in der Fahrradbranche, wie Markus Schulz sieht: »Wenn ein Patent erteilt wurde, hat das auch seine Berechtigung und sollte verteidigt werden. Es scheint mir jedoch teilweise so zu sein, dass manche Patente nur gehalten werden, um den Mitbewerber beziehungsweise den Markt auszubremsen.« Auch die Frage, was eigentlich patentierbar ist und sein sollte, ist regelmäßig in der Diskussion. All diese Punkte sind die aktuellen Problemfelder im Patentrecht. Dass sie derzeit verhandelt und diskutiert werden, darf als gutes Zeichen gelten. Dass noch keine Veränderung in Sicht ist, als Mahnung zu erhöhter Aufmerksamkeit, gerade, wenn es das eigene Unternehmen betrifft.
Eine letzte Frage drängt sich aus Sicht der Konsumenten auf: Stellen Patente eine Hürde dar, um zum günstigsten Preis zu neuester Technologie zu kommen? Aus kurzsichtiger Perspektive mag dies so erscheinen. Ein ganzheitlicher Blick zeigt jedoch: Patente schützen außer dem geistigen Eigentum auch die Investitionen von Marktakteuren in neue Technologien und Lösungen und damit deren Innovationsbereitschaft. Wenn der Patentschutz erlischt, wird zudem über Jahre bewährte Technik breit verfügbar, wie etwa im Fall der SPD-Systempedale von Shimano. Daher stellt sich eher die Frage, wie es ohne Patente und deren Durchsetzung um den Stand der heutigen Fahrradtechnik bestellt wäre. Zumal die mit Patentfragen verbundenen Kosten sich in aller Regel auf große Stückzahlen verteilen und darum beim Verkaufspreis im Fachhandel nicht schwer ins Gewicht fallen. //

11. Februar 2021 von Laurens van Rooijen
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