Markt - USA
Zwischen Licht und Schatten
Die letzten Jahre waren alles andere als lustig für die amerikanische Fahrradbranche. Einige international agierende US-Unternehmen konnten sich glücklich schätzen, dass sie mit einem starken Standbein in Europa die rückläufige Nachfrage auf dem Heimatmarkt ausgleichen konnten. Doch die amerikanischen Bikeshops sowie viele national aufgestellte Marken hatten diese Chance nicht und mussten angesichts mauer Umsätze vielerorts die Segel streichen. Europäische Fahrradhersteller wiederum, die in den vergangenen Jahren mit vielen Ambitionen versuchten, ihren Erfolg in der Heimat nach Amerika zu exportieren, packten zuletzt reihenweise frustriert wieder ihre Koffer und traten die Heimreise an.
Gerade vor wenigen Wochen erst hat beispielsweise die niederländische Accell-Gruppe ihre amerikanische Niederlassung nach Halbjahresverlusten im zweistelligen Millionen-Bereich für den symbolischen Betrag von einem US-Dollar an das Investment-Unternehmen Regent verkauft – inklusive den Markenrechten für die traditionsreichen Namen Diamondback und Redline. Accell-CEO Ton Anbeek klang danach regelrecht erleichtert: »Wir sind froh, dass wir uns nun voll auf das beschleunigte Wachstum unseres europäischen Kerngeschäfts konzentrieren können«, sagte der Accell-Chef. Klingt nach der Entscheidung für ein Ende mit Schrecken statt Schrecken ohne Ende. Doch vielleicht haben die Niederländer zu früh ihre Flinte ins amerikanische Korn geworfen.
Blick geht nach vorne
Wenn man mit amerikanischen Unternehmen und Marktbeobachtern spricht, vermitteln diese gegenwärtig wieder einen vorsichtigen Optimismus. Vor allem das E-Bike scheint endlich auch im amerikanischen Fahrradmarkt zwar vielleicht noch nicht im Turbo-Modus, aber eben auch nicht mehr nur auf der Eco-Stufe zu laufen. Das US-Marktforschungsinstitut NPD bezifferte das Umsatzvolumen des amerikanischen Fahrradhandels (mit Fahrrädern und Zubehör) zuletzt für das Jahr 2017 mit knapp 6 Mrd. USD. Mountainbikes generierten davon knapp 600 Mio. USD Umsatz, also ca. 10 %, Rennräder etwas über 400 Mio. USD. Dagegen wirkt die Bedeutung der E-Bike-Verkäufe mit 77 Mio. USD Umsatzvolumen zwar nur zweitrangig, doch die Kategorie holt mit Riesenschritten auf. In den letzten drei Jahren pendelte die Wachstumsrate für den E-Bike-Absatz in den USA zwischen 60 und über 90 %. Wenn dieser Trend anhält, ist es nur eine Frage der Mathematik, bis E-Bikes auch auf dem amerikanischen Markt den Ton angeben. Trek-Chef John Burke wird in den USA bereits mit der Einschätzung zitiert, dass E-Bikes schon bald auf über 30 % Marktanteil kommen könnten und dass deren Erfolg sogar den MTB- und Rennrad-Boom der Neunziger und frühen 2000er Jahre in den Schatten stellen werde.
Faktor E-Bike
Auch Claudia Wasko, USA-Frontfrau für E-Bike-Ausrüster Bosch, blickt derzeit optimistisch auf den von ihr betreuten Markt: »E-Bikes haben in den USA ein signifikantes Wachstumspotenzial, sowohl als Transportmittel als auch im Bereich Freizeit, etwa als E-MTB, denn sie adressieren drei große Problemfelder in Amerika: Fettleibigkeit, Verkehrsbelastung und Klimawandel«, sagt die Wahlkalifornierin im Gespräch mit velobiz.de. Zwar müssten im föderalen Amerika vielerorts noch die rechtlichen Grundlagen geschaffen werden, damit E-Bikes wie Fahrräder behandelt werden (in den USA übrigens mit einem Speed-Limit von 32 km/h), doch diese Entwicklung gehe voran: Gegenwärtig haben 22 US-Bundesstaaten ihre Gesetzgebung dem E-Bike angepasst, so dass diese dort nun Radwege und ähnliche Infrastrukturen legal nutzen können, berichtet Wasko. Und auch im zuletzt sehr schwierigen Thema des Trail-Access für E-MTBs, also des legalen Benutzens von Bike-Trails, komme ganz allmählich Bewegung. So hat beispielsweise jüngst erst der bei Bikern sehr beliebte Tahoe National Forrest seine Trails auch für E-Mountainbiker geöffnet.
Wenn man mit Bob Margevicius spricht, dem Executive Vice President von Specialized, dann klingen seine Worte ebenfalls so, als seien die schwierigen Jahre im US-Markt allmählich vorbei. »Der US-Fahrradindustrie geht es heute gut«, sagt der Specialized-Chef. Er beobachte ebenfalls einen Anstieg der Umsätze im Gesamtmarkt, bei gleichwohl aber weiterhin niedrigen Absatzzahlen, so Margevicius gegenüber velobiz.de. Neben dem steigenden Absatz von E-Bikes und einem dynamischen Wachstum des jungen Gravel-Segments nennt der Specialized-Manager übrigens auch die Strafzölle gegen China, im amerikanischen Fachjargon Section 301 Tariffs genannt, als wesentlichen Auslöser für steigende Umsätze. Die Logik dahinter ist einfach: Wenn sich der Einkauf durch neue Zölle verteuert und die Hersteller vorerst auf keine anderen Quellen ausweichen können, dann steigen zwangsweise die Preise, die der Kunde an der Ladentheke zahlt.
Damoklesschwert Zölle
Es ist kein Geheimnis, dass US-Präsident Donald Trump mit (aber nicht nur wegen) seiner harten Handelspolitik gegen China in der importabhängigen amerikanischen Fahrradbranche wenig Fans hat. Gerade vor wenigen Tagen erst berichtete die amerikanische Fachzeitung Bicycle Retailer & Industry News, dass die Trump-Regierung nun auch Fahrradhelme und -leuchten aus China mit einem Strafzoll von 10 % belegt. Beide Produktkategorien waren bislang »aus Sicherheitsgründen« von den Strafmaßnahmen ausgenommen. Beobachter des Marktes reagieren darauf mit Kopfschütteln: »Ein höherer Zolltarif für diese Produkte kann deren Verwendung reduzieren und das Verletzungs- oder Todesrisiko erhöhen«, sagt Bosch-Managerin Claudia Wasko.
Man bräuchte eine Kristallkugel, um die weiteren Folgen des Handelskrieges (in dessen Folge übrigens auch Fahrradprodukte aus Europa bereits mit Strafzöllen belegt wurden) zu erahnen, meint Specializeds Executive Vice President Margevicius. Er glaubt aber, dass die Folgen für die chinesischen Unternehmen gravierender sein werden, als für deren amerikanische Abnehmer. »Die Branche verlagert sich von China in andere Entwicklungsländer. Unterdessen hoffen viele in China noch, dass die Zölle wieder aufgehoben werden.« Eine Hoffnung, die Margevicius nicht teilt: »Es gibt keine Anzeichen, dass der Handelskrieg in absehbarer Zeit enden wird. Ich rechne damit, dass die dadurch ausgelöste Abwanderung der Fahrradproduktion sich fortsetzen wird«, sagt der Manager, der bei seinem Arbeitgeber unter anderem die Beziehungen zu den internationalen Lieferanten verantwortet. Seine Prognose: Die Fahrradindustrie in China werde in den nächsten Jahren drastisch schrumpfen.
Etwas weniger optimistisch, dass der Handelskrieg an den amerikanischen Unternehmen weitgehend spurlos vorbei geht, ist Bosch-Managerin Claudia Wasko. Sie glaubt, dass eine Preiserhöhung aufgrund der ohnehin bereits angespannten Margensituation unvermeidlich sei und in Folge zu weniger Nachfrage führen werde. »Direkt bedroht von den Konsequenzen sind rund 6500 Fahrradhändler und die Arbeitsplätze, die der Entwicklung, dem Verkauf und der Wartung von Fahrrädern gewidmet sind. Und das in einer Branche, die sich bereits mit einer Reihe von Großinsolvenzen konfrontiert sieht«, sagt Wasko.
Marc Sani, Herausgeber von Bicycle Retailer & Industry News, geht mit dem US-Präsidenten ebenfalls hart ins Gericht: »Ich persönlich glaube, dass die Chinesen erstmal das Ende der Trump-Regierung in 2020 abwarten werden. Die Herangehensweise der Regierung an die Zölle ist fast ausschließlich politisch ohne eine langfristige Strategie. Damit will ich nicht sagen, dass es keine Probleme mit der chinesischen Handelspolitik gäbe, die gibt es durchaus. Aber Trump ist viel mehr daran interessiert, bei seiner Basis Punkte zu sammeln als eine schlüssige Strategie für China zu entwickeln – und natürlich mit den europäischen Verbündeten zusammenzuarbeiten, die ähnlichen Herausforderungen mit China konfrontiert sind. Das ist harte Arbeit und gehört nicht zu Trumps Fähigkeiten. Ich denke, die amerikanische Fahrradindustrie hat inzwischen erkannt, dass es kein schnelles Ende des Handelskrieges geben wird, und verlagert deshalb nun zügig ihre Produktion.«
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