Interview - Prof. Dr. Andreas Knie, Wissenschaftszentrum Berlin
»Da muss noch mehr Schwung her«
Herr Professor Knie, der Klimakompromiss der Ampel von Ende März, nach dem unter anderem die Klima-Sektorenziele aufgeweicht werden sollen, wird aus der Wissenschaft mit ungewohnter Einmütigkeit abgelehnt. Auch der Expertenrat der Bundesregierung für Klimafragen warnt vor diesem Kurswechsel. Sie selbst sprechen in der ZEIT von einer »Katastrophe«. Die Bundesregierung scheint von dieser Einhelligkeit der Wissenschaft völlig ungerührt – Wie erklären Sie sich die Haltung der Ampel?
Das lässt sich sachlich nicht erklären. Die Ausweisung der einzelnen sektorspezifischen Klimaziele hatte ja das Ziel, die Problemlagen besser und schneller zu erkennen, um dann gezielt Korrekturmaßnahmen ergreifen zu können. Wenn die Sektorziele nun aufgegeben werden sollen, wird der Verkehr gar nicht mehr bearbeitet. Die Ampel nimmt damit den Verkehr als gesellschaftsrelevantes Politikfeld raus. Dieser Beschluss der Koalition ist eine Insolvenzanmeldung. Die Ampel sagt damit: »Wir wollen uns nicht ändern, weil wir glauben, wir können uns nicht ändern.«
Der Verkehrsbereich spielt in der Klimadebatte eine besondere Rolle, aus dem BMDV scheint der Widerstand gegen wirkungsvolle Maßnahmen besonders groß. Was treibt den Minister nach Ihrer Einschätzung hier an? Warum ist er so beratungsresistent?
Eigentlich macht Herr Wissing ja nichts anderes als die De-facto-Politik seiner Vorgänger. Der Fokus liegt auf dem Auto. Man macht ein wenig drum herum, aber im Wesentlichen geht es um den Kfz-Verkehr. Wissing wiederholt dieses Credo mit einer Beharrlichkeit, die beeindruckend ist, und die sicher auch aus dem Finanzministerium gesteuert ist. Der Abbau von Subventionen für das Auto, was eigentlich ein passendes Thema für die FDP sein könnte, wird als klammheimliche indirekte Steuererhöhung dargestellt. Steuererhöhungen wurden aber im Koalitionsvertrag ausgeschlossen. Die FDP will am Auto nicht rütteln, ist damit aber nicht allein auf der Welt, sondern wird augenzwinkernd von der SPD unterstützt.
Man muss zur Ehrenrettung von Wissing allerdings sagen, dass er mit dem 9-Euro-Ticket, jetzt 49-Euro-Ticket, Akzente setzt, die seine Vorgänger sich nicht getraut haben, und er ist auch bereit, sich die Strukturen des Öffentlichen Verkehrs kritisch anzuschauen. Er hat die Verkehrsbranche unter Druck gesetzt, sich zu verändern, das ist trotz seiner Autoverliebtheit ein Pluspunkt in seiner bisherigen Bilanz.
Auf der einen Seite ist in Deutschland für eine breite Mehrheit der Klimaschutz ein wichtiges Thema, auf der anderen Seite erweckt die Bundesregierung nicht den Eindruck, dass sie konsequent handelt, insbesondere im Verkehrsbereich. Die Frage an den Soziologen: Was macht das mit der Bevölkerung? Welche Spuren hinterlässt das? Welche Haltungen entstehen dadurch?
Herr Wissing sagt ja: Ich kann die Sektorziele gar nicht einhalten, weil ich das Verhalten der Menschen nicht beeinflussen kann. Das ist natürlich eine Selbstilluminierung, die ihresgleichen sucht. Und jeder, der dagegen ist, ist ja ein »Ideologe«. Er selbst hat aber die Denke der letzten Jahrzehnte verinnerlicht, nach der wir selbstverständlich alle Auto fahren, das Auto ohne Ende subventionieren und privilegieren, das ist seine Ideologie.
Die überwiegende Mehrzahl der Menschen in unserer Forschung sieht im Klimabereich tatsächlich mit das größte gesellschaftliche Problem und erkennt in ihrem eigenen Verkehrsverhalten auch eine Mitverantwortung. Zugleich sagt eine knappe Mehrheit jedoch: Ich komme jetzt aus meinem Korsett nicht raus. Ich habe nun mal ein Eigenheim auf dem Lande, ich habe aus Tradition heraus ein verkehrsintensives Leben, ich verzichte schon mal auf das Dritt- oder Viertauto. Nur eine Minderheit, die vor allem in Städten wohnt, sagt: Ja, ich ändere mich.
»Wir wollen uns nicht ändern, weil wir glauben, wir können uns nicht ändern.«
Prof. Andreas Knie
Natürlich ist im Sinne einer Volkspädagogik die Aufgabe der Sektorenziele jetzt sehr kontraproduktiv. Wir sollten von der Politik schon erwarten können, dass sie sagt: Leute, wir müssen uns alle verändern, und wir werden auch jetzt schon ankündigen, dass wir die Privilegien des Autos eingrenzen werden. Wir machen das nicht von heute auf morgen, aber wir werden das tun. Das wäre wichtig gewesen, auch schon vor Jahren. So ist es ja auch beim Rauchverbot gemacht worden: Lange vorher angekündigt und begründet, warum – und dann wurde es umgesetzt und fertig.
Wir brauchen auch beim Verkehr Regeln und wir brauchen die Ankündigung von Regeländerungen, dann kann man sich schon mal langsam darauf einstellen.
Auch wenn die Grundhaltung der meisten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler recht eindeutig ist, so gibt es dennoch Menschen, die die Notwendigkeit des Klimaschutzes bestreiten. Für wie groß halten Sie diese Gruppe in Deutschland? Wie sollte der demokratische Diskurs mit diesen Bürgerinnen und Bürgern gestaltet werden?
Die Wissenschaft ist zu den Ursachen des Klimawandels eineindeutig und auch die Bevölkerung hat hier ein großes Problembewusstsein, weil die negativen Auswirkungen der Klimaerhitzung unübersehbar sind. Natürlich gibt es auch hier Menschen, die das alles in Abrede stellen, aber wir leben in einer pluralen Gesellschaft und müssen das aushalten. Die Gruppe derer, die in den digitalen Medien besonders aktiv sind, schätze ich auf zwei bis drei Prozent, das ist eine eigene Blase, die sich noch mal in Unterblasen unterteilt, das ist so.
Als Willi Brandt vor 50 Jahren mit der neuen deutschen Ostpolitik begann, gab es auch eine enorme Gegnerschaft, weil Menschen ihre Feindbilder nicht aufgeben wollten. Das waren harte Auseinandersetzungen, aber wenige Jahre später hatte ein Umdenken eingesetzt und eine klare Mehrheit war dafür. Aber auch jetzt gibt es Menschen, die man nicht überzeugen können wird, damit muss die Demokratie leben.
Wenn man sich in den digitalen Medien mal außerhalb der eigenen Blase so umschaut, dann ist festzustellen, dass es viele »Radfahrer-Hasser« gibt, die sich nicht über das Fehlverhalten Einzelner aufregen, sondern geradezu einen »Kulturkampf« führen: Das Auto als »bedrohte Art«. Radfahrerende beherrschen das Handeln der Politik. Die Verkehrswende als feindliches Ansinnen, als Angriff auf unsere Wirtschaft, auf die eigene Lebensgestaltung. Wie erklären Sie sich als Soziologe dieses Phänomen?
Diese Gesellschaft hat lange auf das eine Pferd gesetzt, auf das Auto, dem wir eine unglaubliche Dominanz gegeben haben und dem wir ungemein viel Platz zugeschoben haben. Seit etwa 20 Jahren beginnt dieser Glanz zu bröckeln, weil die Fahrradfahrenden mehr werden und ihren Platz reklamieren. Jetzt gibt es diesen Kampf um ein knappes Gut, die Verkehrsfläche. Das führt natürlich zu verhärteten Strukturen. Doch langsam wird auch bei uns klar, dass wir eine andere Verteilung des öffentlichen Raums brauchen und dass die Autofahrer – in unterschiedlichen Graden – das auch einsehen. Aber: Es verhärten sich ein paar Kerngruppen. Aus Autofahrersicht ist es ja so, dass da pulkweise Fahrradfahrer unterwegs sind und da kommt man gar nicht mehr durch. Beispielsweise hier in Berlin, am Moritzplatz, eine Art Kreisverkehr, da kommen Autofahrer fast gar nicht mehr rechts raus, weil immerzu Fahrradfahrer von hinten kommen. Das ist eine völlig neue Emotion für Autofahrer: Ich komme hier nicht durch! Ich komme hier nicht vorwärts – auf MEINER Straße! Das führt zu Verhärtungen, aber ich halte das für vorübergehende Phänomene, das kennen wir auch schon aus den Niederlanden und aus Skandinavien, das wird man durch eine entsprechende Regelung, mehr Platz für Fahrradfahrer auszuweisen und das auch zu erklären, wieder in den Griff bekommen.
Bahnstreiks sind gesellschaftlich akzeptiert, Blockaden durch Trecker von Landwirten ebenfalls, die Verkehrsblockaden der »Letzten Generation« aber nicht?
Es ist also auch eine Frage der Gewöhnung?
Ja, das ist ein neues Phänomen, man hat das ja auch nicht überall. Wenn man über Land fährt, dann ist das Auto ja immer noch ungetrübt, die Probleme tauchen vor allem in großen Städten auf.
Sie haben in der Vergangenheit von der Fahrradwirtschaft immer wieder ein stärkeres politisches Engagement eingefordert. Welche Möglichkeiten für ein wirkungsvolleres Agieren sehen Sie konkret für die Branche?
Die Branche insgesamt muss sich bewusst werden, dass Erfolge insgesamt nur durch politische Lobbyarbeit funktionieren. Man ist zwar »im Besitz der Wahrheit«, aber alleine reicht das nicht! Wenn man aus der Vergangenheit etwas lernen will, dann, dass das Auto nur deshalb so erfolgreich sein konnte, weil die frühen Automobilisten viel Lobbyarbeit gemacht haben. Sie haben intensiv dafür geworben, dass die Regeln geändert werden, dass es mehr Platz gibt für Autos und dass es mehr Geld gibt für Autos. Und die Fahrradindustrie glaubt immer, das fiele vom Himmel, »wir sind doch da, wir sind doch die Guten«. Nein, das muss man immer wieder politisch herstellen.
Das Fahrrad ist im Moment in der politischen Priorität ziemlich weit unten, und das muss sich ändern, dafür muss die Fahrradbranche sorgen. Dazu muss sie natürlich ihre wirtschaftliche Bedeutung darstellen, sie muss übrigens auch ihre Abhängigkeit von Asien zurückfahren und damit hierzulande mehr Wertschöpfung schaffen. Das muss politisch präsenter werden und das geht nur mit mehr Lobbyarbeit. Auch der ZIV hat noch nicht die Sichtbarkeit, wie es sein selbst erklärtes Ziel ist, nämlich der VDA fürs Fahrrad zu werden. Da muss noch mehr Schwung her.
Die »Letzte Generation« ist zum Symbol des radikalen Widerstandes geworden gegen das in ihren Augen »Nichtstun« der Politik, einen konsequenten Klimaschutz zu betreiben. Nun liefert die Regierung mit ihren Beschlüssen gerade weitere Argumente, die zu diesem Bild passen. Erwarten Sie dadurch eine weitere Radikalisierung dieser Gruppen?
Ja, das erwarte ich auf jeden Fall. Die Aufgabe der Sektorenziele, das Herausnehmen des Verkehrs aus einem gesellschaftspolitischen Feld, das hat viele extrem stark und nachhaltig beeinflusst.
»Es gibt gar keine Alternative zu diesen radikalen Maßnahmen. Nur durch die Regelübertretung passiert etwas.«
Prof. Andreas Knie
Deshalb gehe ich von einem großen Zulauf aus. Wenn da jetzt nicht noch irgendwas schief läuft, wird sich diese Bewegung verstetigen. Es wird mehr Demonstrationen geben und auch Blockaden, und diese Form der Proteste wird noch einen erheblichen Zulauf bekommen.
… und auch noch radikaler werden?
Ja, sie wird dann an der Spitze radikaler, an der Basis kann sie nie radikal sein, aber sie wird breiter.
Die Methoden der letzten Generation sind in der Gesellschaft höchst umstritten, manch Politiker sprach gar von »Klimaterroristen«. Wie ist Ihre Einschätzung: Nutzen die unkonventionellen Aktionsformen der Gruppe dem Anliegen des Klimaschutzes oder ist die Wirkung eher kontraproduktiv?
Wir sehen ja, dass die Bundesregierung die Klimaziele im Verkehr aufgeben will, also muss der Widerstand noch radikaler werden. Die Proteste werden natürlich kritisch gesehen, weil sie jetzt alle treffen, sie sollen ja auch bewusst alle treffen. Das ist wie beim Streik der Bahn, der trifft ja auch wieder alle, und dennoch würde ich nicht sagen, dass der Streik den Anliegen der Gewerkschaften schadet. Vielleicht könnte man auch anders über Löhne nachdenken, aber nein, nur durch das Mittel des Streiks sind die Gewerkschaften überhaupt in der Lage, Lohnforderungen durchzusetzen. Und so ist es auch bei der »Letzten Generation«: Nur durch die erst mal abstrakte Idee »Ich blockiere« und durch das tatsächliche Tun werden sie überhaupt relevant. Sie können also gar nicht radikal genug sein, und sie werden dann auch von allen so gesehen. Natürlich ärgert man sich, wenn man gerade zufälligerweise davon betroffen ist, wie ja beim Streik auch. Es gibt gar keine Alternative zu diesen radikalen Maßnahmen, das haben wir auch in der Vergangenheit so erlebt. Nur durch die Regelübertretung passiert etwas. »Ende Gelände«, »Extinction Rebellion« und die »Letzte Generation« sind solche Regelbrecher und nur durch Regelbrecher wird ein gesellschaftliches Bewusstsein wach. Ergo: Sie unterstützen die Klimaaufmerksamkeit und sie fördern das Thema. //
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