Portrait Kokua
Mit beiden Beinen auf der Erde
In unserer aufgeklärten und scheinbar allwissenden Welt erleben wir immer wieder überraschende Entwicklungen, die vor wenigen Jahren kaum jemand für möglich gehalten hätte und die wir heute trotzdem als selbstverständlich ansehen. Eine der »unumstößlichen Wahrheiten«, mit denen wir aufgewachsen sind, ist zum Beispiel, dass Eltern Kindern das Radfahren (wie übrigens auch das Schwimmen) beibringen müssten. Regelmäßige Diskussionen gab es dabei über Jahrzehnte hinweg nur in Bezug auf die Frage »mit oder ohne Stützräder«. Bis der Aachener Produktdesigner Rolf Mertens für seinen Sohn ein Holzrad baute.
Ein 180 Jahre altes Produkt wird erfolgreich wiederbelebt
Noch bevor das Laufrad in den Handel kam, erlebte es seinen Durchbruch. Nicht wie man annehmen könnte auf einer Fahrradmesse oder durch eine Auszeichnung, sondern auf einem Treffen von Fahrradanhänger-Enthusiasten, das die Firma Zwei plus zwei im Sommer 1997 am Fühlinger See in Köln initiierte. Ohne große Erwartungen auf einen durchschlagenden Erfolg brachte Rolf Mertens mit seiner Frau Beate das ursprünglich für den zweijährigen Sohn Niklas entworfene »Nikky-Bike« mit. Nachdem das Laufrad aus Multiplex-Platten mit dünner Vollgummibereifung – eine Adaption der 1817 von Karl Drais erfundenen »Laufmaschine« – bereits bei Freunden und Bekannten auf große Zustimmung gestoßen war, hatten die Mertens einige Exemplare in Handarbeit hergestellt. Vielleicht würden die ja Interessenten finden. Fanden sie. Eltern und Kinder zeigten sich begeistert, was heute noch auf den ersten Seiten des Prospekts zu sehen ist. Wichtiger als ein paar verkaufte Räder war aber einige Tage später ein Bericht im Kölner Stadt-Anzeiger mit Angabe der Telefonnummer. »Am Tag des Erscheinens stand unser Telefon ab 6.30 Uhr nicht mehr still«, erinnert sich Beate Mertens, die zur Serienfertigung zusammen mit ihrem Mann Rolf und seinem Bruder Alfred die Kokua Bikes GmbH gründete.
Lern- und Spielgerät für Klein und Groß
Was bei Karl Drais Kundschaft für Missfallen sorgte, war die Notwendigkeit, einen Sinn für das Gleichgewicht zu entwickeln. Gerade das kommt allerdings, zusammen mit dem Gefühl des Gleitens und der Geschwindigkeit, dem Spiel- und Entdeckungstrieb von Kindern entgegen, die sich mit den Füßen auf dem Boden zudem stets sicher fühlen. Entsprechend groß war und ist die Begeisterung für das Spielgerät Like a Bike, das in seiner Urform weiter produziert wird und inzwischen viele Klone und Nachahmer gefunden hat.
Insbesondere auf Trittbrettfahrer wie Supermärkte und Kaffeeröster, die ab 2003, dem Höhepunkt des Kokua-Erfolgs, den Markt mit billigen Imitaten überschwemmten, sind die Mertens nach einigen kostspieligen Prozessen schlecht zu sprechen. Wie prominente Beispiele aus der ganzen Welt zeigen, ist das Vorgehen gegen Plagiate mit hohen finanziellen Risiken verbunden und ein Erfolg vor Gericht oder die Durchsetzbarkeit der Forderung keineswegs garantiert. Das hat auch das Familienunternehmen Kokua schmerzhaft erfahren. Die Lösung: Auf eine starke Marke und einen guten Rückhalt bei den Fahrradhändlern, die zu den ersten begeisterten Kunden gehörten, und Kinderläden setzen und die Produktlinie weiter verbreitern. Inzwischen gehören stollenbereifte Holzlaufräder ebenso zum Angebot wie Alu-Laufräder und Zubehör. Relativ neu auf dem Markt sind 16-Zoll- und 20-Zoll-Varianten: Keine Spielgeräte mehr, sondern echte Fahrräder für Kinder ab vier bzw. sechs Jahren. Das spiegelt auch der Name: »Like to Bike« steht für den lückenlosen Anschluss an die Lernräder und erfüllt damit den Wunsch vieler Eltern nach dem original Kokua-Feeling auch für ältere Kinder.
Mit Like to Bike auf der nächsten Entwicklungsstufe
»Qualität, gutes Design und noch einmal Qualität ist genau das, was unsere Kunden bei Kokua suchen und finden«, beschreibt Rolf Mertens den Markenkern. Längst hat sich Kokua vom alternativen Umfeld emanzipiert. Trotzdem sind die ursprünglichen Werte erhalten geblieben – das Unternehmen bleibt mit den Beinen auf der Erde. »Unsere Produkte sprechen mit ihrem puristischen reduzierten Design viele Menschen an, die sich auch sonst gerne mit schönen Dingen umgeben«, erläutert Mertens. »Darüber hinaus bietet die Reduktion auf das Wesentliche im Bereich Kinderräder natürlich auch Vorteile bei der Nutzung, die sich bei der Einfachheit der Bedienung genauso wie beim Gewicht niederschlagen.« Trotz der robusten Bauweise und Details wie einer Elastomer-gefederten Schwinge und Ballonreifen wiegt beispielsweise das Alu-Laufrad Jumper nur 3,4 Kilogramm und damit genauso wenig wie das leichteste Holzrad aus dem Programm. Die Produktphilosophie, Räder konsequent auf die Bedürfnisse der Kinder auszurichten, findet sich auch bei den größeren Varianten. Beim 16-Zoll-Modell, das nur 7,5 Kilogramm auf die Waage bringt, findet man zum Beispiel keine Schaltung, denn »auch wenn es bei einer Fahrradtour praktisch ist, sind Kinder damit unserer Erfahrung nach oft noch überfordert«, so Mertens. Als Alternative soll hier demnächst die neue Zweigang-Automatik von Sram verbaut werden. Erst einmal allerdings nur als limitierte Version, um Erfahrungen mit der Reaktion der Kundschaft auf das schwerere und teurere Rad zu sammeln.
Den Weg in die Zukunft weist das 20-Zoll-Modell, das neben den Kokua-Tugenden auch einige Produktinnovationen wie einen um 90 Grad drehbaren Ahead-Vorbau mit auf den Weg bekommen hat. Zusammen mit dem optional erhältlichen Zubehör wie einem Lichtpaket inklusive Nabendynamo, Schutzblechen und einem Gepäckträger kann es zu einem vollwertigen Schulrad aufgerüstet werden. Trotzdem wiegt es in der Basisversion mit 7-Gang-Kettenschaltung nur 9 Kilogramm und setzt damit Maßstäbe. Das zusammen mit dem Faltradspezialisten Tern entwickelte und produzierte Rad markiert gleichzeitig die nächste Entwicklungsstufe bei Kokua. Denn mit dem erworbenen Know-how macht man sich aktuell daran, ein 24-Zoll-Fahrrad für Kinder ab 8 Jahre zu entwickeln, das im Markt sicher wieder für einige Aufmerksamkeit sorgen wird. »Viele Eltern sind mit dem bestehenden Angebot nicht zufrieden und fragen nach, ob wir nicht auch etwas für ältere Kinder anbieten. Da wir davon überzeugt sind, dass es hier noch Entwicklungspotenziale gibt, gehen wir zusammen mit unseren Kunden den nächsten Schritt«, erläutert Geschäftsführerin Beate Mertens die Strategie. Dementsprechend soll das kommende Rad wieder besonders leicht werden. Angepeilt ist ein Gewicht von 10 Kilogramm für das neue Straßenrad.
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