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Mit Mut und Mütze
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Handel - Schicke Mütze

Mit Mut und Mütze

Sie hatten keine Branchenkenntnis, aber viel Leidenschaft. In Düsseldorf machten ein paar Rennradfahrer ihr Hobby zum Geschäft. Über einen Radladen, der independent bleiben möchte.

Oft braucht es einen Umweg, um das Schöne zu entdecken. Das gilt für Ausflugsrouten ebenso wie für Spaziergänge durch mediterrane Mittelalterstädte, wo Blicke durch die Haustore architektonische und gartengestalterische Blüten freigeben. Und das gilt auch in der Düsseldorfer Talstraße, wo zwischen ergrauter BRD-Innenstadtarchitektur eine schmale Durchfahrt an einen Ort führt, der sogar neugierige Profisportler aus einiger Entfernung anzieht.
Gemeint ist ein Fahrradladen, bei dem man zuerst das Café sieht, der nach einer Kopfbedeckung benannt ist, und dessen Gründer alles Mögliche vorher gemacht hatten, nur nichts in der Fahrradbranche: die Schicke Mütze in Düsseldorf, ein Radgeschäft, das von vornherein das Meiste ganz anders machen wollte als die anderen Händler, von denen es in der NRW-Landeshauptstadt nicht gerade wenige gibt.
Die Lage des Geschäfts im Hinterhof, der Mangel an großflächiger Werbung draußen im Straßenbild und auch die Benennung des Unternehmens zeigen, dass das Team einen subtilen Weg beschreitet. Benannt ist der Laden nach einem Vordach, das mit Fantasie aussieht wie die klassischen Käppis, die Rennradfahrer auch heute wieder verstärkt unter ihren Helmen tragen. Den Namen ausgedacht hatte sich Dieter Mauermann, der zunächst das zur Mütze gehörende Café betrieben hatte und heute Privatier ist.

Fünf Freunde und der ­Radladen

Die Schicke Mütze ist ein Geschäft gewordener Plan B. Das Kernteam lernte sich über die gemeinsame Liebe zum Radsport kennen. Miteinander fuhr es immer wieder die so genannte Klassi­kerausfahrt, eine Rennradtour auf eher dem Retro-Segment zugeschlagenen Stahlrennern. Oft »hing« man auch in einem bekannten Düsseldorfer Radladen herum. Irgendwann kam dann die Idee auf, ein eigenes Geschäft zu eröffnen – in einem alten Lager, das früher zu einem Fahrradladen gehört hatte. Ursprünglich wollte man gemeinsam mit einem Rennrad-Restaurator und einem Cafébetreiber einen neuen Ort für die stahlaffine Szene gründen. Doch dann stieg der Restaurator aus – und Konrad Glaeser, Kerstin Kortekamp und Carsten Wien versuchten es auf eigene Faust gemeinsam mit dem Gastronomiepartner Dieter Mauermann sowie dem Architekten Jan Hüttenbernd. Bis heute ist die Werkstatt, die Schrauberhütte UG, ein eigenes Unternehmen im Haus – und beschäftigt auch noch weitere erfahrene Schrauber.
An die Anfangszeit erinnert sich Carsten Wien mit Freude, denn der ­Spirit im Team war gut und er ist auch erhalten geblieben: »Wenn wir damals gesagt hätten, dass wir einen Business-Plan schreiben, hätten wir die ganze Sache sowieso nie gemacht«, sagt Wien, der nach einer erfolgreichen Karriere im Musik-Filialgeschäft die Branche wechselte. Man sei auch an das eigene Ersparte gegangen, erinnert sich Wien, um einen Radladen zu schaffen, der sich von den anderen abhebt. Und musste dafür auch lange warten: Anderthalb Jahre dauerte es, bis die gefundene Immobilie tatsächlich auch mit Genehmigung der Stadt als Geschäft eröffnet werden durfte.
Als das Geschäft Mitte 2014 eröffnete, bediente es die Zielgruppe, zu der seine Inhaber selbst gehörten. In der Mütze gab es »eine begrenzte Auswahl an Rennrädern, Teile, wie wir sie brauchten – und ein paar Klamotten«, erinnert sich Wien. Doch es waren eben nicht irgendwelche Stücke, sondern von vornherein Ware, die sich abhob. Stahlräder, italienische Kult­klamotten und Reifen, die eben nicht von Continental oder Schwalbe kamen.
»Offensichtlich waren die Sachen, die wir da hatten, spannend«, sagt Wien, als er über die Gründe dafür nachdenkt, dass die Mütze innerhalb weniger Jahre von der Leidenschaft zum wirtschaftlich tragfähigen Unternehmen wuchs. War die Mütze anfangs für alle ein Nebenerwerb, so arbeiten Wien, Glaeser und auch der Werkstattleiter Hüttenbernd heute voll an diesem Ort, ebenso der Café-Leiter Florian Stadelmann. Mitgünderin Kortekamp arbeitet weiter als Managerin in einem Industrieunternehmen, ist aber sehr präsent in der Mütze.
Wie kann ein Unternehmen in einem von Wettbewerbern längst beackerten Markt als Neugründung überleben? Durch das Anders-Sein, das sie in der Mütze von Beginn an konsequent durchgezogen haben. Das Unternehmen erwuchs aus eigenem Erleben. Die Produkte, mit denen sie die Kundschaft erreichten, hatten die Gründer selbst getestet. Das waren etwa MKS-Pedale oder Panaracer-Reifen. »Die Leute haben sich das empfehlen lassen und sind dann wiedergekommen. So haben wir Schritt für Schritt unsere Kundschaft erweitert.« Eine definierte Zielgruppe habe es nie gegeben.

Schnittstelle zur ­Fahrradkultur

In die Mütze kommen heute nicht nur Retro-Stahlfans, sondern auch Nachbarn mit defekten Stadtfahrrädern oder auch Büroangestellte, die im Café einen Salat oder ein Stück Kuchen essen. »Viele Gastronomiekunden sind schon fahrradaffin«, sagt Stadelmann, »aber man merkt auch bei vielen, die einfach hier in der Mittagspause sind, dass sie sich das Fahrrad-Angebot anschauen.« Das Café ist also eine Art Schnittstelle zwischen denen, die einen angenehmen Ort mit frisch zubereitetem Essen suchen – und der Subkultur des schicken Radfahrens, die ja gerade in urbanen Zentren in den vergangenen Jahren enorm an Sex-Appeal zugelegt hat. Ein Radladen – darauf reagieren die Leute anders, als wenn sie von einer Position in der dahinsiechenden Plattenbranche hören.
Inzwischen hat sich die Schicke Mütze weit über die Düsseldorfer Talstraße hinaus einen guten Ruf erarbeitet. Und im Team ist die Kompetenz gewachsen. »Man lernt von den Kunden, wenn sie Fragen stellen«, sagt Wien. Der Erfolg liegt auch darin begründet, dass das Unternehmen sein Image anders pflegt als viele Einzelhändler. Die Schicke Mütze erzählt Geschichten, berät, findet Sachen cool. Wer sich die Internetseite und den Facebook-Auftritt anschaut, findet da keine digitalisierten Verkaufsprospekte, sondern Beiträge, die aus der Praxis stammen, die Leidenschaft befeuern und so eher latent zum Kauf bewegen. »Da sind wir sicher ziemlich gut, wenn es um die Nutzung dieser Kanäle für die Ansprache unseres Publikums geht«, sagt Carsten Wien. Fester Bestandteil dieses Ansatzes sind auch die gemeinsamen Ausfahrten, die das Team der Mütze auch an fiesen Winterwochenenden organisiert. Man kann wohl mit gutem Gewissen behaupten, dass hier Leute arbeiten, die ihr Hobby auch bei Dreckswetter durchziehen. Das wirkt bei den Kunden.

Retro war einmal

Galt der Hinterhof in der Talstraße zunächst als Anfahrtstation für gleichgesinnte Stahlradfans, so hat sich das heute geändert. Mit dem Wort Retro wollen sie hier sowieso lieber nicht in Verbindung gebracht werden. Das Team der Mütze legt viel Wert darauf, dass es in Sachen Material und Ansatz flexibel ist. Es gibt hier individuell aufgebaute Stahl- und Carbon-Renner, Gravel Bikes und seit neuestem sogar Kinderfahrräder. »Am Anfang hatte man uns unter Sportlern etwas abgestempelt«, sagt Wien, aber das ist vorbei. Wie zum Beweis fährt auch Konrad Glaeser ein Genesis-Gravelbike mit Carbon-Rahmen. Ritchey, Bombtrack, Genesis – es sind diese Hersteller, mit denen man als Fahrradliebhaber Statements setzen kann.
Damit die Schicke Mütze ihrem Ruf gerecht bleibt, braucht sie ein Sortiment, das sowohl qualitativ überzeugt als auch einen gewissen Alleinstellungs-Anspruch beibehält. Das ist eine Herausforderung für Wien und Glaeser, der zweieinhalb Jahrzehnte kaufmännisch im Buchgeschäft gearbeitet hat und jetzt froh ist über ein Ende der Zerrissenheit mit Büro und Laden. Die beiden müssen auf der Suche sein nach Ware, die ihren Ansprüchen gerecht wird. Und die sich dennoch verkaufen lässt. »Preissensibel sind unsere Kunden genau wie die Kunden anderer Geschäfte«, sagt Wien. Bei den Marken, so sagt er, kommt die Mütze gut an. Die Beziehungen zu den einstigen Newcomern sind prächtig. Die Schicke Mütze ist ein Ort, an dem die Hersteller ihr Sortiment gern sehen. Das sei sogar so weit gegangen, dass ein Unternehmen für eine Aktion die Fläche exklusiv nutzen wollte – doch dafür war das Team nicht zu haben. Es folgt einem Indie-Ansatz, den man hier jederzeit spüren kann. Kein Wunder: Wien hat nicht nur viel Filialerfahrung im Musikbusiness, sondern war einst auch angestellt im führenden Punkplattenladen der Region.
Das Team weiß, dass andere sich den Erfolg ihrer Schicken Mütze genau anschauen. Dass es Händler gibt, die sich an den Marken im Sortiment orientieren. So kann aus Indie schnell Mainstream werden – und die ursprünglichen Künstler haben nicht mehr viel davon. Es ist das alte Lied. Was sollen wir tun, zuckt Carsten Wien die Schultern, so sei das nun einmal, und das sei ja eben auch ein gutes Zeichen. »Am Ende ist es doch gut, wenn immer mehr Leute aufs Rad steigen«, sagt er.

10. Dezember 2018 von Tim Farin
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